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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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das Kühlfach ist kaputt, man kann also keine großen Vorräte anlegen.«
    Anschließend versah sie Nikita mit ausführlichen Erklärungen und Gebrauchsanweisungen für ihre Höhle.
    »Das Schloß klemmt. Wenn du den Schlüssel reinsteckst, mußt du erst hier draufdrücken, so, siehst du. Nicht hektisch, sondern
     mit Feingefühl. Der Kühlschrank tropft, also immer schön einen Lappen drunterlegen. Das einzig Wertvolle in der Bude ist die
     Waschmaschine. Aber paß auf, wenn du sie anschaltest, mußt du Gummihandschuhe anziehen. Sie ist nicht geerdet, sie könnte
     dich umbringen.«
    »Wieso?« fragte Nikita verständnislos.
    »Na, wenn du sie zum Beispiel mit nassen Händen anfaßt, dann kriegst du einen Stromschlag«, erklärte Sina.
    »Warum holst du keinen Elektriker?«
    »Wenn ich einen Elektriker bestelle, muß ich den ganzen Tag zu Hause sitzen und auf ihn warten. Dazu hab ich keine Zeit und
     keine Lust. Lenk nicht ab, Rakitin. Die Steckdose hier auf keinen Fall benutzen, die stinkt nach verschmorter Plaste, die
     könnte abbrennen.«
    »Aber neben dem Tisch ist weiter keine Steckdose«, bemerkte Nikita, »ich muß doch meinen Computer anschließen.«
    »Kein Problem. Nimmst du eben eine Verlängerungsschnur.«
    »Woher?«
    »Irgendwo hab ich eine. Du wirst sie schon finden. Apropos Computer, ist der Akku voll?«
    »Müßte eigentlich. Er ist ja ganz neu. Wieso?«
    »Hier fällt oft der Strom aus, fast jeden Tag, manchmal nur fünf Minuten, manchmal eine Stunde. Ich hab eine Petroleumlampe
     und Kerzen. Hier steht das Petroleum.«
    »Wozu so viel?« fragte Nikita erstaunt.
    »Erstens kriegt man damit Ölfarbe gut ab, zweitens für die Lampe, und drittens hatte ich letztes Jahr Läuse.«
    »Läuse?«
    »Na ja.« Sina verzog das Gesicht. »In der Nachbarhöhle wohnt ein Säufer, und der hat jeden Monat eine neue Liebe. Letztes
     Jahr hatte er eine Freundin mit einer fünfjährigen Tochter. Die beiden Idioten haben die Kleine jeden Tag geprügelt, da hab
     ich sie manchmal zu mir rübergeholt, und dabei hab ich mir eben Läuse eingefangen. Irgendwann ist sie zusammen mit ihrer Mutter
     wieder verschwunden. Der Nachbar hat jetzt eine Neue, ohne Kind. Was guckst du denn so? Die Läuse sind weg, keine Angst. Ansonsten
     sieh zu, daß du dem Publikum hier möglichst aus dem Weg gehst.«
    »Schon kapiert.« Nikita nickte.
    »Noch kapierst du gar nichts. Aber wenn erst der Nachbar gegen die Tür hämmert und dich anpumpen will, dann wirst du schon
     kapieren. Ach ja, mach nie die Tür auf, nicht mal, wenn einer brüllt: ›Hilfe, Mörder!‹«
    »Wieso, wird hier so viel gemordet?«
    »Nein. Aber gebrüllt wird das jeden Tag. Und noch eins, halte für alle Fälle immer eine Wasserreserve in Dreilitergläsern
     bereit. Das Wasser wird auch manchmal abgestellt, mal das kalte, mal das warme. So, ich glaube, das war alles.« Sina ließ
     ihren Blick nachdenklich durchs Zimmer schweifen. »Wenn du Lust zum Aufräumen kriegen solltest, wär ich dir nicht böse. Deine
     Papiere legst du am besten hier in diese Büchse.« Sie zeigte auf einen große französische Keksdose. »Das ist der einzige sichere
     Ort. Ich laß dir für alle Fälle meine Petersburger Nummer da. Hier, ich schreib sie ganz groß und lege den Zettel in die Büchse,
     damit du nicht lange suchen mußt.«
     
    Die Försterfrau Klawdija war extrem schweigsam. Auf Nikitas Fragen antwortete sie höchstens mit ja oder nein. Ungeachtet ihrer
     dreiundsiebzig Jahre lief sie erstaunlich mühelos durch die Taiga. Vor einer grünen Lichtung, die nach einer mit Baumstämmen
     übersäten Schneise sehr einladend wirkte, drehte die Försterfrau sich zu Nikita um.
    »Paß auf, halt dich genau hinter mir, in meiner Spur. Hier ist Sumpf.«
    Wie sie die festen Bülten vom Morast unterschied, war Nikita ein Rätsel, aber sie irrte sich nie. Hin und wieder verharrte
     ihr Bein im geflickten Kunstlederstiefel kurz, um dann ruhig und sicher aufzutreten.
    In fünf Stunden legten sie nur zwei Rasten ein. Sie aßen Brot, kalte gekochte Kartoffeln und hartgekochte Eier, dazu tranken
     sie aus einer breiten, flachen Flasche Brunnenwasser.
    Unangenehm war, daß außer Vater Pawel, seiner Frau Xenija und Klawdija auch deren Schwiegertochter Nikita gesehen hatte, eine
     neugierige, unglaublich geschwätzige Frau um die Vierzig, die überdies, ihrem aufgedunsenen roten Gesicht nach zu urteilen,
     gern trank.
    »Wieso war der Neffe früher noch nie hier? Sieh mal an, Klawdija, das ist

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