Für Nikita
abzuschotten.
»Ich nehme an, ich muß dich nicht extra bitten, ihm nichts von unserem Gespräch zu erzählen? Entschuldige bitte noch einmal,
aber ich riskiere wirklich einiges.« Sein Mundwinkel zuckte in einem angedeuteten Lächeln.
»Selbstverständlich nicht, Petja. Ihm nicht und auch sonst niemandem.«
Als sie endlich die kalt gewordenen Garnelen aufgegessen, anschließend noch einen Kaffee getrunken hatten und dasRestaurant verließen, dämmerte es bereits. Der Himmel war nun wolkenlos, es war ein klarer, stiller Abend.
»Veronika Sergejewna!« Einer der beiden Bodyguards sprang aus dem Auto und kam auf sie zugestürzt.
»Nicht so hektisch, Kostik!« Nika schüttelte den Kopf. »Bleib sitzen, entspann dich. Wir schlendern noch ein bißchen über
den Boulevard. In einer Dreiviertelstunde bin ich am Auto.«
»Na, das ist ja ein Leben«, seufzte Petja, »wird dir diese Fürsorge nicht zuviel?«
»Früher hatte ich keine Leibwache. Aber für die Frau eines Gouverneurs ist das obligatorisch.« Nika lachte spöttisch. »Na
ja, es ist ziemlich lästig.«
»Also, was deinen Nikita angeht …« Petja sprach jetzt sehr leise und schnell. Nika mußte ihn unterhaken und ganz dicht neben
ihm gehen. »Das Wichtigste habe ich schon gesagt. Es war ein Auftragsmord. Wer den Auftrag gegeben hat und warum, das weiß
ich nicht. Der Leichnam galt laut Dokumenten als ohne Angehörige und wurde im Schnellverfahren eingeäschert. Formal ist alles
sauber. Na ja, fast.«
»Sauber? Eine Einäscherung ohne Einwilligung der Angehörigen? Und wieso im Schnellverfahren? Das ist doch ein unglaublicher
Verstoß gegen das Gesetz. Morgen kommen seine Eltern, für sie wird das ein zusätzlicher Schock – ich bin sicher, das werden
sie nicht auf sich beruhen lassen. Sie sind orthodox und hätten einer Einäscherung nie zugestimmt.«
»Man wird ihnen sagen: ›Verzeihung, ein Versehen. Wären Sie in Moskau gewesen – aber es war ja kein Angehöriger da, niemand
hat den Leichnam im Laufe von drei Tagen angefordert, und Kühlkammern sind knapp.‹ Ein erschöpfter, hilfloser Typ in der Registratur,
ein betrunkener Leichenwäscher, Chaos in den Papieren, allgemeineSchlamperei. Keiner ist schuld. Die übliche Praxis. Bei der Verschleierung von inszenierten Auftragsmorden.«
»Übertreibst du da nicht, Petja? Vielleicht war es wirklich nur die übliche Schlamperei?«
»Wär im Prinzip möglich«, Petja nickte, »aber nicht in dem Leichenschauhaus, in das Nikita gebracht wurde. Dort ist alles
auf höchstem Niveau, die Arbeitskräfte hat man sorgfältig ausgewählt. Auch wenn es von außen aussieht wie der übliche postsowjetische
Saustall. Erinnerst du dich an den Fall der Bande von Mördern und Wohnungsspekulanten?«
»Ja, ich habe davon gehört. Sie haben alte Leute, Behinderte und alleinstehende Trinker umgarnt, sich von ihnen eine Generalvollmacht
ausstellen lassen und sie ins Jenseits befördert. Soweit ich weiß, hingen da auch Ärzte mit drin, die haben das Clonidine
besorgt. Aber die wurden doch eingesperrt. Und was hat das mit dem Leichenschauhaus zu tun?«
»Stimmt, die wurden eingesperrt, aber nicht alle. Es gab ein paar Leute im Leichenschauhaus, die aufgrund angeblicher Fehler
in den Papieren oder wegen Platzmangels in den Kühlkammern die Körper der Opfer vorzeitig einäscherten. Auf dem Totenschein
stand entweder akutes Herzversagen oder Hirnschlag. Bei einer Obduktion aber hätte man eine Vergiftung festgestellt. Und diese
versehentlichen Einäscherungen gehen weiter. Nur die Auftraggeber sind jetzt andere.«
»Moment mal, das verstehe ich nicht. Die meisten Auftragsmorde heutzutage laufen doch ohne jede Inszenierung. Man engagiert
einen Scharfschützen oder sprengt ein Auto in die Luft, und weder der Vollstrecker noch der Auftraggeber werden je gefunden.
Die Aufklärungsrate ist verschwindend gering.«
»Trotzdem ist ein Unfall manchmal besser. Bei einem Auftragsmord ist der Kreis der Verdächtigen in der Regel rasch ermittelt,
es ist bloß schwer, die Schuld einer bestimmten Person nachzuweisen. Aber zum Kreis der Verdächtigen zu gehören ist äußerst
unangenehm. Besonders, wenn man kein Krimineller ist, sondern ein rechtschaffener, hochgestellter Staatsdiener. Das schadet
dem Ruf, führt zu unguten Gerüchten und aufdringlichen Journalistenfragen und ist schließlich ein Trumpf in der Hand von Mißgünstigen
und Konkurrenten. Also inszeniert man lieber einen
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