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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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mit aller Macht aus bist. Aber alles, was dabei rauskommen wird, ist ein weiterer unaufgeklärter Fall in unserer
     Statistik. Willst du das? Ich nicht. Unser Kreis liegt auch so bei einer Aufklärungsrate von maximal vierzig Prozent. Was
     sollen wir mit einem weiteren unaufgeklärten Fall, und dann noch mit so einem Brocken? Wem nützt das? Wem wird davon besser?
     Dem toten Schriftsteller? Wir sind hier nicht im Kino, Andrej. Hier gibt’s keine Bösewichte und keine Helden. Nur die übliche
     Schlamperei.«
    »Schlamperei?«
    »Genau.« Saïdow nickte. »Die Leiche deines Schriftstellers wurde heute nacht eingeäschert.«
    »Eingeäschert? Aber die Eltern kommen erst heute, wiesowurde er bereits eingeäschert? Das ist doch unmöglich ohne die Einwilligung der Angehörigen!«
    »Bei uns ist alles möglich.« Saïdow krauste die Brauen. »Er war als ›ohne Angehörige‹ registriert, irgendein Hornochse im
     Leichenschauhaus hat da was verwechselt, na ja, eben der übliche Saustall.«
    »Anwar Saïdowitsch, verstehe ich Sie richtig – Sie verbieten mir, operative Informationen in bezug auf die Waffen und Drogen
     zu sammeln?«
    Saïdow schwieg lange. So lange, daß der Hauptmann schon dachte, sein Chef sei eingeschlafen. Er hatte den Kopf tief gesenkt,
     die Augen verschwanden unter den buschigen Brauen. Schließlich sagte er langsam und teilnahmslos, ohne aufzusehen: »Ach, sammle
     doch, wenn’s dir Freude macht.«
    Als Leontjew die Tür öffnete, hörte er seinen Chef noch murmeln: »Aber ich fürchte, viel Freude wird dir das nicht bringen.
     Und mir auch nicht.«

Siebzehntes Kapitel
    »Hallo, Nika. Schön, dich zu sehen. Zwar aus einem schrecklichen Anlaß, aber es ist mir trotzdem eine Freude, dich anzuschauen.«
     Petja Lukjanow umarmte Nika und küßte sie.
    Als Student war er klapperdürr gewesen, hatte eine runde Vorkriegsbrille auf der langen, dünnen Nase getragen, seidige, schulterlange
     kastanienbraune Locken, Breeches mit Lederflicken auf den Knien, eine uralte halbmilitärische Joppe und einen dunkelgrünen
     Filzhut. Er hatte ausgesehen wie ein intellektueller Anarchist.
    Nun stand vor Nika ein großer Dicker im soliden dunkelgrauen Anzug, mit fast vollständig grauem, raspelkurzemHaar, einem akkuraten runden Bärtchen und einer ganz normalen Brille – getönte Gläser in einer teuren italienischen Fassung.
    Ohne die regelmäßigen Absolvententreffen hätte Nika Petja Lukjanow nicht erkannt.
    »Sag mal, warum bleibst du eigentlich völlig unverändert? Hast du vielleicht wie Dorian Gray auf dem Dachboden ein Bild versteckt,
     das an deiner Stelle altert?«
    Sie folgten dem Oberkellner an einen Ecktisch und studierten lange die Speisekarte.
    »Hör mal, gibt’s hier bestimmt keine Wanzen unterm Tisch?« fragte Petja besorgt, den Blick auf die Speisekarte gerichtet.
    »Eigentlich nicht.« Nika zuckte die Achseln. »Aber wenn du Angst hast, schwatzen wir jetzt nur ein bißchen und machen dann
     einen Spaziergang über den Boulevard.«
    »Und dein Chauffeur mit den Ringerschultern fährt im Schrittempo neben uns her?«
    »Nein. Der wartet an der Ecke. Was ist denn mit dir los, Petja?« Sie bemerkte Schweißperlen auf seiner Stirn.
    Der Kellner kam.
    Petja schreckte hoch. »Für mich irgendwelche Meeresscheusale, die machen nicht dick. Und einen trockenen Weißwein.«
    »Bitte zweimal Muschelsalat, frisches Gemüse, zweimal Großgarnelen in Knoblauchsauce und eine Flasche Weißwein nach Ihrem
     Geschmack.«
    »Und zu den Garnelen? Reis oder Pommes frites?«
    »Für mich nichts.« Petja schüttelte entschieden den Kopf. »Ich versuche gerade abzunehmen.«
    Der Kellner nickte verständnisvoll und sah Nika fragend an.
    »Für mich bitte auch keine Beilage.«
    Als der Kellner gegangen war, wischte sich Petja mit einem Papiertaschentuch die Stirn ab, dann warf er Nika einen schnellen
     Blick zu.
    »Mir tut es sehr leid um den Schriftsteller Godunow. Ich bin natürlich kein Experte, aber ich finde, als Autor war er einer
     der besten. Doch noch mehr tut es mir leid um Nikita Rakitin, den Jungen, der dich jeden Tag vom Institut abgeholt hat. Ich
     weiß selbst nicht, warum ich mich so gut an ihn erinnere. Wahrscheinlich, weil ich ihn ein wenig beneidet habe.«
    »Beneidet?«
    »Ich habe einmal seine Augen gesehen, als du ihm über den Hof entgegenkamst. Er hatte die Gabe zum Glücklichsein. Verstehst
     du, was ich meine? Unglücklich sein kann jeder. Die meisten Menschen fühlen sich sicherer, wenn sie

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