Für Nikita
Unfall. Das ist zwar teurer und komplizierter, aber dafür sicherer.«
»Du meinst, das war bei Nikita der Fall?«
»Ich könnte ja glauben, daß der Schriftsteller Godunow durch fahrlässigen Umgang mit einer defekten Elektroleitung umgekommen
oder bei einem Brand erstickt ist – wäre der Leichnam nicht ausgerechnet in dieses Leichenschauhaus gebracht und dann noch
aus Versehen eingeäschert worden. Du glaubst mir nicht?!« Petja blieb abrupt stehen, nahm die Brille ab und starrte Nika aus
hellgrauen Augen verwirrt an.
»Doch, doch, ich glaube dir jedes Wort«, beruhigte sie ihn.
Plötzlich überkam sie eine zähe, bedrückende Gleichgültigkeit. Sie stellte sich die geschäftigen Männer im Leichenschauhaus
vor, die von einem ebenso geschäftigen Mann Geld bekommen hatten, damit sie den entstellten, verkohlten Körper von Nikita
Rakitin – alles, was von ihrer ersten und im Grunde einzigen Liebe übriggeblieben war – beseitigten. Angenommen, sie konnte
ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben die Verantwortlichen entlarven, etwas beweisen. Was würde das ändern?
»Ich verstehe dich«, sagte Petja leise. »Du denkst jetzt,daß du ihn sowieso nicht zurückholen kannst. Ich bin schon still. Du führst ein sicheres, geordnetes Leben: Ein Mann, ein
Sohn, viel Geld, eine fürsorgliche Leibwache. Du solltest nicht Privatdetektiv spielen. Wenn du deine Nase da reinsteckst,
rettet dich auch keine Leibwache.«
Achtzehntes Kapitel
»Wie – eingeäschert?!« Rakitin blickte in das runde, liebenswürdige Gesicht der Frau im Leichenschauhaus und spürte, daß er
jeden Moment mit den Fäusten auf diese lockenköpfige lächelnde Zicke losgehen würde.
»Nicht doch, Juri, reg dich nicht so auf.« Olga Rakitina legte ihre eiskalten Finger auf die Hand ihres Mannes.
»Ein Platz in der Kühlkammer hat seinen festen Preis. Kommt ein Verstorbener von einem Bestattungsinstitut, überweist das
den Betrag an uns. Kommt er von der Miliz oder mit dem Unfallwagen, behalten wir ihn nur auf besondere Anordnung des Staatsanwalts.
Liegt keine vor, setzen wir uns mit den Angehörigen in Verbindung und besprechen mit ihnen Bedingungen und Dauer der Aufbewahrung
des Leichnams. Soweit mir bekannt ist, waren Sie im Ausland. Außer Ihnen hatte der Verstorbene keine nahen Angehörigen. Ich
wiederhole noch einmal, ich spreche Ihnen meine Entschuldigung aus. Die Urne bekommen Sie im Nikolo-Archangelski-Krematorium.«
»Aber das kann nicht sein! Sehen Sie noch einmal in Ihren Papieren nach, Sie irren sich bestimmt! So etwas gibt es in keinem
Land der Welt, das ist doch Barbarei, jemanden ohne Einwilligung der Angehörigen einzuäschern.«
»In den Papieren steht es schwarz auf weiß. Das habe ichbereits mehrmals überprüft. Die Verwaltung spricht Ihnen eine offizielle Entschuldigung aus.«
»Was zum Teufel soll ich mit Ihrer Entschuldigung? Wie konnte das passieren? Wie? Wo ist Ihr Vorgesetzter?!«
Rakitin schrie nicht. Seit drei Tagen streikten seine Stimmbänder. Er brachte nur ein heiseres Flüstern heraus.
Als er in Washington den Anruf aus Moskau bekam, sein einziger Sohn Nikita sei tot, bei einem Brand umgekommen, glaubte er
es zuerst nicht.
»Das kann nicht sein«, sagte er kalt und ruhig.
»Juri Petrowitsch, ich habe es selbst gesehen«, sagte die weinende Galina, Nikitas Exfrau.
»Was hast du gesehen? Du hast doch selbst gesagt, da war nur noch eine verkohlte Kruste, kein Gesicht mehr. Und warum war
er in einer fremden Wohnung?«
»Er hat bei Sina Resnikowa gewohnt. Erinnern Sie sich noch an sie? Ich weiß nicht, warum, aber er hatte sie gebeten, bei ihr
wohnen zu dürfen. Als ich das Kreuz sah, da wußte ich – es ist Nikita. Und seine Papiere lagen auch da …«
»Wir kommen morgen, ich werde das klären. Ich bin sicher, das ist ein idiotisches Mißverständnis.«
Trotz dieser Überzeugung verspürte Rakitin ein heftiges Stechen im Herzen, sobald er den Hörer aufgelegt hatte. Er legte sich
eine Nitroglycerin unter die Zunge und schloß die Augen. Er durfte diesen Horror nicht in sich hineinlassen. Noch war nichts
bekannt. Erstens müßte dann jemand von einer offiziellen Instanz anrufen, von der Staatsanwaltschaft oder vom Innenministerium.
Zweitens sollte sich Nikita übermorgen melden und Bescheid sagen, für wann er die Tickets gebucht hatte – das hatten sie vor
zwei Wochen besprochen.
»Jura, was ist los? Warum schläfst du nicht? Warum sitzt du im Dunkeln?«
Seine
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