Fuer Wunder ist es nie zu spaet
Leichtbier. Sieht die Tanzpaare vorbeiwirbeln. Nun ja,
vielleicht wirbeln nicht alle, die meisten stolpern, schwanken, stürzen,
trampeln und schlittern vorbei. Der Duft von blumigen Parfüms, Schnupftabak und
Schweiß folgt ihnen wie eine schwere Wolke.
Das Hemd kneift ein wenig am Hals, Jens hat es bis oben hin
zugeknöpft, und das ist er einfach nicht gewohnt. Aber er wollte sich ein
bisschen schick machen, mit Schlips und so. Und jetzt steht er da mit Hemd,
Weste, Krawatte und kommt sich vor wie ein Clown. Ein Clown, der im Zirkuspublikum
sitzt, aber nicht mitspielen darf. Er darf nur zuschauen, in seiner grellbunten
Perücke und der roten Nase.
Zu schüchtern, um jemanden aufzufordern. Zu hässlich, um
aufgefordert zu werden. Da kann er genauso gut nach Hause gehen. Er stellt das
halb ausgetrunkene Glas weg, überquert unter Entschuldigungen die Tanzfläche
und spaziert dann an den Menschengrüppchen vorbei durch den Park zu seinem
Auto.
Die Nacht ist hell, das Lachen laut, und die Tanzcombo singt, so gut
sie kann. Der Kies knirscht unter seinen Füßen, ein paar Leute grüßen ihn mit
einem »Wie jetzt? Schon nach Hause?«, und Jens winkt zurück und behauptet, er
müsse noch die Bananenpflanzen gießen. Im Vorübergehen nimmt er sich eine
Gratiszeitung aus einem Ständer, bedankt sich beim Parkwächter und öffnet die
Tür von seinem Pick-up.
Da drinnen ist es still, man hört die Combo kaum noch, das
erwartungsfrohe Gemurmel ist weg, kein Lachen von der Schießbude, nur Stille.
Jens reißt sich den Schlips runter, knöpft Weste und Hemd auf und fährt sich
mit der Hand durchs Haar, bis die Locken sich wieder frei bewegen können. Auf
dem Beifahrersitz liegt eine halbe Zimtschnecke. Jens beißt ein Stück ab und
blättert in der Gratiszeitung. Anfang Juni Kulturnacht, Anfang Juli Musikfestival
für Lokaltalente, Modenschau, Erntedankfest, Autobingo und . . .
Was ist das denn? Jens macht das Licht an und kneift die Augen
zusammen. Eine Schwimmschule. Für Erwachsene. Auf Hjortholmen. Hjortholmen . .
.
Aufmerksam liest Jens die Anzeige. Dann legt er einen Kickstart mit
dem Pick-up hin und fährt durch die Frühsommernacht nach Hause.
13
V erdammt, in den Zimmern sollten
natürlich frische Blu men stehen!«
Maja greift sich ein Paar Arbeitshandschuhe, schlüpft in ihre
Holzschuhe, klappert über den Kies im Hof und schlendert dann hinunter zu den
alten verwachsenen Rosenbüschen. Rosen in verschiedenen Rotschattierungen, vom
hellsten Rosa bis zum dunkelsten Ochsenblutrot. Und höllisch viele Dornen und
Schlingen. Autsch.
Maja schiebt sich durch die Dornen, und es gelingt ihr, drei Sträuße
zu pflücken. Drei Sträuße. Drei Personen haben sich zum Schwimmkurs angemeldet.
Alexander, Karin und Jens. Das hatte Maja sich ganz anders vorgestellt. Frauen
mit spannend klingenden persischen Namen, Soosaneh, Zinath, Parvaneh, Laleh.
Mindestens zwanzig Gäste und das Haus voller Leute. Magische Nächte mit
Erzählungen aus fernen Ländern. Neue Gedanken, Inspiration. Aber es sind nur
drei.
Ursprünglich hatten sich fünfzehn angemeldet. Doch dann wurde die
ganze Welt von einer Art Panik ergriffen, und aus jeder Zeitung und jeder
Fernsehsendung ertönte die Angst vor Finanzkrisen und Kündigungen und
Hypotheken, die niemals würden bezahlt werden können. Und zwölf Leute sagten
den Schwimmkurs ab. Lieber mit Geld in der Tasche ertrinken als arm wie eine
Kirchenmaus herumschwimmen.
Die Frauen mit Migrationshintergrund haben natürlich nichts von sich
hören lassen. Kein Wunder. Die können sich nicht leisten, so viel Geld
hinzulegen, um sich in einem dämlichen Schloss das Schwimmen beibringen zu
lassen, wenn sie das in ihrem Schwimmbad vor Ort umsonst kriegen.
Maja muss über ihre eigene Dummheit lachen. Was hat sie sich nur
dabei gedacht? Dieser romantisch verblasene Quatsch, dass sich ihr völlig neue
Welten hinter den Burkas erschließen würden. Für viertausendfünfhundert Kronen
die Woche. Inklusive Bioessen und fair gehandeltem Kaffee. Könnte es sein, dass
solche Dinge auf der Prioritätenliste eines politischen Flüchtlings nicht ganz
oben stehen? Vielleicht ist es einem einfach scheißegal, ob die Zucchini biodynamisch
angebaut wurden, wenn man gerade vor Krieg und Unterdrückung geflohen ist. Wie
bitte, hier im Flüchtlingslager wird gerade ein Teller Suppe ausgeteilt? Ist
die denn auch bio? Nicht? Ach, vielen Dank, dann verzichte ich. Sagen Sie doch
bitte Bescheid, wenn Sie biologisch
Weitere Kostenlose Bücher