Fuer Wunder ist es nie zu spaet
Block auf dem Schoß auf ihrem Golddiwan
und zeichnet Damwild. Versucht, den leeren, ängstlichen Blick der Tiere
einzufangen. Auf ihrem alten Plattenspieler haut der gute alte Lars besonders
kitschige Versionen von alten und neuen Klassikern in die Tasten.
Nein, sie hat die Platte nicht selbst gekauft. Die befand sich schon
in der Schlossbibliothek, als sie einzogen, zusammen mit einigen anderen
Leckerbissen und natürlich vielen weiteren Ohrenschmausplatten von Onkel Lars.
Vielleicht wurden die ja aufgelegt, als das Schloss noch für Feste, Hochzeiten
und Kurse gemietet werden konnte. Da konnte man ein bisschen tanzen und lachen.
Nichts, was störte, nichts, was Angst machte, nur schöne und nette Sachen.
Maja versucht, das richtige kommerzielle Fingerspitzengefühl zu
entwickeln. Lars Roos beherrscht das. Hier wird Geld verdient. Klingeling,
klingeling. Was kommt bei den Leuten an? Maja zeichnet weiter. Die Damtiere
haben so süße Hintern, weiß, wollig und dann der kleine wippende Schwanz.
Lars spielt weiter, als wäre nichts.
Das Damtier bekommt einen niedlichen kleinen Schwanz. Oder nein, das
sieht langweilig aus, Maja radiert ein wenig und zeichnet stattdessen einen
kleinen Stringtanga . . . mit Spitze. Dazu bekommt das arme Tier ängstlich
glotzende Augen. Nee, verdammt.
Maja kaut auf dem Bleistift herum und denkt nach. Gerade spielt Lars
eine besonders schmalzige Version von »Just the way you are«. Genau wie du
bist. Genau wie ich bin. Aber wie bin ich? Ob Lars Roos wohl über so etwas nachdenkt?
Wie er ist? Auch egal.
Maja pfeffert den Zeichenblock auf den Boden. Alles völlig sinnlos.
Sie verlässt den warmen Diwan und schlurft zum großen Atelierfenster, die Decke
um den Körper gewickelt. Draußen dämmert es. Im Raum ist es kühler und auf den
breiten Dielen sogar richtig kalt. Einen halben Meter sind sie breit und weich
wie Samt von all den Leuten, die auf ihnen herumgerannt sind, -gestanden und
-getanzt haben.
Fünf Meter lichte Raumhöhe. Ganz oben hängt ein großer fliegender
Pelle. Den hat Maja zu ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag bekommen, ihren ganz
privaten Schutzengel. Ein nackter Pelle in Lebensgröße mit riesigen Flügeln,
kleinem Penis und einem Heiligenschein, der nicht schief sitzt, sondern ganz
korrekt.
Staffeleien, Pinsel, Dosen, Stoffe, Schrott, alte Stühle,
Stahlrohre, Kupferdrähte, Kleider, Overalls, Fotos, Zeitungsausschnitte,
Plunder. Das Atelier ist unordentlich.
Draußen hat sich der Himmel rosa gefärbt und der Vänersee
dunkellila. Am Ufer kann Maja den Bären erahnen. Früher stand da ein Stein, der
lediglich an einen Bären erinnerte, der auf den Hinterbeinen stand. Eines
Abends holte Pelle Hammer und Meißel und watete ins Wasser hinaus. Dann fing er
an, einen Bären aus dem Stein zu schlagen. Einen fast zwei Meter hohen Bären,
der mit sehnsuchtsvollem Blick dasteht und in den Sonnenuntergang starrt. In
manchen Jahren reicht ihm das Wasser nur bis zu den Knien, in anderen bis zu
den Schultern. Aber man hat immer den Eindruck, als würde er sich woandershin
sehnen. Als würde er darauf warten, abgeholt zu werden.
Ihr Blick wandert zum Pool, der unter einem Bett trockener Blätter
ruht. Generationen von Laub. Ein wahres Familiengrab. Maja liebt es zu
schwimmen, sie war auch mal richtig gut darin. Ein paar Jahre lang war sie
sogar Schwimmlehrerin. Abends, um ein bisschen Geld zu verdienen. Tagsüber
studieren und mit Pelle flirten. Abends Kindern das Schwimmen beibringen. Das
war nicht schwierig und außerdem ziemlich sinnvoll. Man weiß, warum man da ist:
um Kindern das Schwimmen beizubringen. Sie kamen zu ihr, waren ein wenig
ängstlich, aber doch gespannt, mit ihren kleinen rosa Badeanzügen, den Lücken
zwischen den Vorderzähnen und lustigen Badekappen. Und alle hielten sich an
Maja, vertrauten ihr voll und ganz. Schließlich konnte sie im Gegensatz zu
ihnen schwimmen. Eine klare und wichtige Aufgabe, die Leben retten kann.
Kindern das Schwimmen beibringen, sie zu lehren, das Leben voll auszukosten.
Was ist im Vergleich dazu schon Kunst? Wobei Kunst schon auch Leben retten
kann.
Der Laubpool ist hübsch. Fünfunddreißig Meter lang. Vielleicht
fünfzehn Meter breit. Am Astrakan-Apfelbaum einen Meter tief und hinten bei den
Melonenäpfeln zwei Meter.
Maja setzt sich auf den kühlen Holzfußboden. Es knarrt unter ihrem
Hintern. Sie lehnt sich an einen der Pfeiler. Am Sockel liegt eine alte
Zigarette. Von wem könnte die sein? Vielleicht von Channa? Die
Weitere Kostenlose Bücher