Fuer Wunder ist es nie zu spaet
Jens seine Hand aus und nimmt die von Karin. Sie
lässt ihn.
»Wovor hast du Angst?«
Karin beugt sich vor, immer noch mit Jens’ Hand in ihrer, und nimmt
eine Erdbeere, die sie sich in den Mund wirft.
»Vor allem. Alles in meinem Leben war so hässlich. Und jetzt soll
ich in so ein schreckliches Krankenzimmer gehen, das nach Tod und Krankheit
stinkt, und soll meinen hässlichen, ekligen Vater daliegen und in seiner
Einsamkeit sterben sehen. In ihm sehe ich mich, wie ich sterben werde. Einsam
und hässlich. Einen hässlichen Tod sterben, der stinkt, und niemand, gar
niemand ist da, der sich um einen kümmert.«
Jens streckt ihr seine andere Hand hin und hält jetzt Karins beide
Hände. So stehen sie da, und abgesehen von dem Rascheln des Damhirsches im
Brombeergestrüpp ist es ganz still. Jens lächelt.
»Du wirst hingehen, das ist einfach so. Es wird nicht so sein, wie
du denkst. Und ich gehe mit dir.«
43
E r hat es geschafft! Alex kann
schwimmen!«
Alex und Maja betreten den Schlosshof, wo die anderen
herumlaufen und trockenes Reisig sammeln. Channa lässt alles fallen und fängt
an zu applaudieren, und die anderen tun es ihr nach. Alle außer Pelle.
Josefin kommt hinzu, fragt neugierig, was passiert sei, und fängt
dann auch fröhlich an zu klatschen.
Alex verbeugt sich verlegen und klatscht dann seinerseits in Majas
Richtung als Dankeschön. Es tropft immer noch aus seinen nassen Haaren auf die
braun gebrannten Schultern. Maja streichelt ein paar Tropfen weg, besinnt sich
dann und zuckt mit der Hand zurück.
»Herzlichen Glückwunsch.«
Pelle streckt Alex seine geäderte, große Hand mit den weißen Flecken
entgegen, und der ergreift sie mit seiner jungen, sehnigen Hand. Pelle lässt
nicht los, und so stehen sie Hand in Hand da.
»Und? Wie ist es vonstattengegangen, als du es gelernt hast?
Erzähl.«
Immer noch Hand in Hand, Alex ist verunsichert.
»Och, na ja, wir haben da unten am Ufer geübt. Ich dachte, Maja
würde mich unter dem Bauch festhalten, aber das hat sie nicht gemacht.«
»Und wo hat sie festgehalten?«
»Ga. . . gar nicht. Ich bin ganz von selbst geschwommen, aber ich
dachte, sie würde mich festhalten.«
»Das sollten wir feiern! Wie wäre es mit einer Torte und etwas Saft,
das wäre doch das Richtige für dich, oder? Eine kleine Festtorte für den neuen
kleinen Schwimmer.«
Alex befreit seine Hand aus Pelles Griff und schaut nervös zu Maja
hinüber.
»Ich gehe rauf und ziehe mich um.«
Rasch schlängelt er sich an Josefin vorbei durch die Tür zum Saal.
»Das wäre jetzt nicht unbedingt nötig gewesen.«
Channa schüttelt eine Zigarette aus der Schachtel und tätschelt
Pelle die Schulter.
»Was denn?«
»Ihn so bloßzustellen.«
»Wieso bloßstellen? Er ist doch ein Kind, dann sollte man mit Saft
anstoßen.«
»Du weißt sehr gut, was ich meine.«
Channa nimmt einen Zug, sieht aufmunternd zu Maja und streckt ihr
die Hände hin.
»Herzlichen Glückwunsch auch an dich, das muss sich wunderbar
anfühlen, wenn man so einen Erfolg hat.«
Maja will gerade anfangen zu berichten, als Pelle sie unterbricht
und sich direkt an sie wendet. Er steht da und fühlt sich wie ein unglaublich
alter Mann mit schrumpeliger Haut, grauem schütterem Haar, einem schlaffen
Schwanz und jeder Menge totem Reisig vor den Füßen. Und dagegen Maja mit ihrem
sehnigen, schmalen Körper, dem immer noch nassen Bikini, den rot erblühten
Wangen und leicht aufgeworfenen Lippen.
»Ganz ehrlich, was findest du nur an diesem verdammten
Chipsfresser?«
»Was meinst du?«
»Du weißt genau, was ich meine.«
»Nein, das weiß ich gar nicht. Und was soll das heißen,
Chipsfresser?«
»Das ist er doch! Ein Chipsfresser. Ein kleiner Junge, der Chips
isst und Computer spielt! Ein Kind. Er ist ein Kind, Maja. Ein Kind!«
Channa überlegt kurz, aber dann mischt sie sich ein und umarmt
Pelle. Sie umfasst seinen zitternden Körper, legt ihre Hände auf seine
verschwitzten Wangen, und Pelle steht ganz still. Channa hat den einen Arm um
Pelle gelegt und streichelt gleichzeitig Majas Hand und lacht freundlich.
»So, jetzt beruhigen wir uns alle ein bisschen. Bist du eifersüchtig?
Ehrlich? Weil Maja ihm hilft? Klar hat er einen tollen Körper und ist jung,
aber komm, Pelle, mach mal halblang, darauf muss man doch nicht eifersüchtig
sein. Wie du schon sagtest, er ist doch nur ein Kind, und du bist ein Mann,
aber dann benimm dich bitte auch wie einer. Komm, wir sammeln mal das Reisig
fertig ein,
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