Fürchte deinen Nächsten!
halbdunklen Flur blieb er stehen. Er lauschte zum Wohnzimmer hin und hörte nichts. Kein heftiges Atmen, keine Schritte. Diese Frau hatte sich gut in der Gewalt, auch wenn es für sie demütigend sein mußte wie er sie auf der Couch hatte liegenlassen.
Er schaute noch in die Küche. Sie war nicht groß, aber perfekt eingerichtet. Für das Bad galt das gleiche, und das wiederum entsprach dem Äußeren dieser Frau.
Delany blickte auf die Uhr.
Er hatte noch Zeit. Bis die Bullen es geschafft hatten, sich durch den Verkehr zu wühlen, blieb ihm noch die Gelegenheit, sich mit Marcella zu beschäftigen.
Er betrat das Wohnzimmer.
Weiches Licht verteilte sich. Durch die Rollos vor dem großen Fenster wirkte das Wohnzimmer auf dieser Seite wie ein Käfig. Irgendwie war es das auch, Marcella konnte ihm nicht entkommen, wenn Judas es nicht wollte. Er war hier der King. Er war der Verräter in der Bibel, aber er war auch der Erlöser. Er wollte die Menschen so erlösen, wie auch seine Eltern erlöst worden waren. Man hatte den oder die Mörder nie gefunden. Statt dessen war alles anders gelaufen, und man hatte sich um ihn gekümmert, anstatt die wahren Täter zu suchen. Gern hätte er ihnen gegenübergestanden, aber das Schicksal hatte es anders gemeint.
Die beigefarbene Couch stand nicht an der Wand, sondern mitten im Raum. Wie auch der Glastisch davor und die beiden schmalen Schalensessel an den Seiten. Für die anderen Einrichtungsgegenstände hatte er keinen Blick, wichtig war Marcella.
Sie lag auf der Couch.
Und sie war nackt!
Delanys Augen glitzerten, als er einen ersten Blick über den Körper warf. Er erinnerte sich daran, wie er Marcella ausgezogen hatte. Sehr langsam und genußvoll. Es hatte ihm wahnsinnigen Spaß bereitet. Mit großem Genuß hatte er sie entkleidet, und sie hatte sich nicht einmal gewehrt. Nur die Augen geschlossen, um die Demütigung nicht miterleben zu müssen.
Jetzt lag sie auf dem Rücken. Den Kopf leicht angehoben, da er auf der Lehne ruhte. Das Licht war so eingestellt, daß die Frau auf der hellen Insel lag. Sie war nicht einmal gefesselt. Die Androhung, sie zu zerstückeln, hatte ausgereicht, um sie auf der Couch liegen zu lassen. Außerdem wäre es ihr kaum gelungen, sich heimlich aus der Wohnung zu schleichen. Da paßte Judas auf wie ein Luchs.
Sie gefiel ihm immer besser. Vor allen Dingen wie sie da vor ihm lag. Ihm fiel der Begriff >hingegossen< ein. In der Tat lag sie da wie hingegossen. Das weißblonde Haar sah mit seinen Strähnen und Korkenzieherlocken mehr wie eine Perücke aus. Judas wußte, daß es echt war. Einige Male schon hatte er seine Finger durch die Haarpracht gleiten lassen, um es zu überprüfen.
Er hörte sie atmen. Nicht sehr laut, auch nicht ängstlich. Sie hatte sich unter Kontrolle und machte ihrem Beruf damit alle Ehre. Judas ging bis zum Couchende und blieb vor ihr stehen. Er ließ seinen Blick über den nackten Körper gleiten. Mit dem Begriff perfekt wußte er nicht so recht umzugehen, doch seiner Meinung nach war diese Frau perfekt. Er sah ihre Brüste, die trotz der Lage nicht in sich zusammengesunken waren. Auch jetzt wirkten sie noch fest mit den leicht aufgerichteten Spitzen. Der Bauch trat etwas hervor. Schwellende Hüften, das gleiche bei den Oberschenkeln, und bei den Beinen lag die rechte Wade auf dem linken Knie.
Sie schaute ihn an. Ihre hellen Augen zeigten keine Furcht. Aber sie hatte Angst. Sie mußte einfach Angst haben. Das gab es nicht, daß jemand keine Angst hatte. Wenn er genau hinschaute, sah er auf der Oberlippe die kleinen Schweißperlen. Judas nahm es als Indiz dafür, daß sie unter der Angst litt.
»Was denkst du jetzt?« fragte er leise.
»Ich denke an dich.«
»Ach. Warum?«
»Ich denke daran, daß du mit all den Dingen, die du vorhast, nicht durchkommst. Es geht nicht, das weiß ich genau, und du weißt es ebenfalls. Judas.«
»Wie kommst du darauf?«
»Weil es noch nie ein Verbrecher geschafft hat, durchzukommen. Nicht, wenn er so konzentriert gejagt worden ist wie du.« Delany ließ sich nicht beirren. Allerdings war er ärgerlich geworden. Wie konnte es diese Person nur wagen, ihn so zu beleidigen? Er war nicht irgendwer. Er war kein normaler Verbrecher. Es war schon ein Unding, ihn damit vergleichen zu wollen. Er war besser als andere. Er stand über ihnen, dank eines mächtigen Helfers.
»Du kennst mich nicht, Marcella. Nein, du nicht.«
»Wir haben lange genug miteinander gesprochen.«
Er winkte nur lässig
Weitere Kostenlose Bücher