Fürchte deinen Nächsten!
wie kleine, rote Blüten ausgebreitet hatten.
Blut aus dem Unsichtbaren.
Verrückt?
Nein, in diesem Fall nicht. Es gehörte zu einem Verletzten, zu dem Killer, der durch den Angriff mit dem Kreuz geschwächt worden war und nun Tribut zollen mußte.
Mein Blick glitt von den Spuren weg und tastete sich in die Höhe. Der Teufel war dabei, seinen Diener zu verlassen, denn Judas Delany begann sich zu materialisieren, und er verlor dabei Blut…
Es war ein unheimlicher und abstoßender Anblick. Auch Sukos Interesse galt nur diesem Vorgang. Seinen Platz am Regal hatte er verlassen und war mehr in die Mitte des Zimmers getreten. Nur Marcella Ash sah nichts. Sie war damit beschäftigt, sich anzuziehen und hatte die Unterwäsche bereits übergestreift.
Im rechten Winkel zu mir blieb Suko stehen. Zwischen uns befand sich das Zentrum, in dem der unheimliche Vorgang ablief. Er spielte sich auch nicht lautlos ab, denn der Mann litt unter starken, schon unsäglichen Qualen.
Wir bekamen das furchtbare Stöhnen mit. Unterlegt von einem schweren, schon traurig klingenden Ächzen, in dem sich alle Qualen der Welt vereinigt hatten.
Das Blut floß jetzt stärker. Und je mehr es die Gestalt verließ, um so stärker materialisierte sie sich.
Der Kopf erschien. Das Gesicht. Die langen, dichten und rabenschwarzen Haare. Der Hals, die Schultern, die Brust, aber der Mann war nicht nackt. Auch jetzt trug er seine schwarze Kleidung. Von innen her wurde sie mit Blut regelrecht vollgepumpt, das natürlich seinen Weg nach außen fand und in dicken Tropfen zu Boden fiel.
Immer stärker verdichtete sich der Körper. Er war noch ein Mensch, aber er verlor Blut. Es sickerte aus zahlreichen Öffnungen, Poren oder Wunden hervor. Sogar aus der Kopfhaut sprudelte es nach oben und verfing sich wie roter Sirup in den Haaren des Mörders.
Gebannt schauten wir zu. Unsere Körper waren von einer Gänsehaut bedeckt. Suko und ich wußten, daß wir nicht mehr einzugreifen brauchten. Der Teufel rechnete mit seinem Diener ab. Er konnte es nicht überwinden, daß jemand wie dieser fünffache Mörder in die Aura des Kreuzes hineingeraten war.
Judas Delany jammerte. Er war kein Verräter mehr, er war nur noch ein Bündel Mensch, dem auch kein Arzt der Welt mehr helfen konnte. Und als Erlöser konnte er sich schon gar nicht mehr bezeichnen. Hier in der Wohnung der Person, die er sich für einen dreifachen Mord ausgesucht hatte, wurde für ihn der Schlußstrich gezogen.
Fürchte deinen Nächsten!
Es war der Standardsatz bei ihm gewesen. Viele hatten ihn gefürchtet. Das war nun vorbei.
Er weinte.
Das Blut in seinem Gesicht vermischte sich mit den Tränen. Wenn ich an die schlimm zugerichteten Opfer dachte, konnte ich kein Mitleid mit ihm haben.
Judas Delany brach in die Knie. Um ihn herum hatte sich die große rote Lache förmlich in den hellen Teppich hineingefressen und eine feuchte Pfütze gebildet.
Sein Kopf kippte nach vorn. Ein jammerndes Geräusch drang aus seinem Mund. Dann versuchte er es noch einmal. Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung riß er seinen Oberkörper hoch. Er hob auch die Arme an und streckte sie der Decke entgegen, wie jemand, der verzweifelt um Hilfe fleht. Er bekam sie nicht. Sein Gönner hielt sich zurück. Er ließ ihn ausbluten. Delany drehte langsam den Kopf. Zuerst erwischte er mit seinem Blick meinen Freund Suko. Das Gesicht des Killers verzog sich dabei. Noch immer strahlte der Haß aus seinen Zügen. Das merkte auch ich, als er mich anschaute.
Ich schüttelte den Kopf. »Zu hoch gepokert, Judas! Der Teufel kann Niederlagen seiner Diener nicht leiden. Er wird sich immer dafür rächen, das kennen wir!«
Der Körper schwankte, hielt sich aber noch. Delany wollte etwas zu mir sagen, mich wahrscheinlich verfluchen, denn das hätte zu ihm gepaßt. Als er den Mund aufriß, tanzten rote, schaumige Blasen auf seinen Lippen. Worte stieß er nicht hervor.
Statt dessen hörte ich ein tiefes Röhren, als wäre in seinem Innern etwas zerrissen worden. Es war der letzte Laut, den er in seinem Leben ausstieß.
Judas Delany kippte nach vorn und gleichzeitig zur Seite. Die Kraft hatte ihn verlassen. Er schlug inmitten der roten Insel auf und drehte sich dabei noch auf den Rücken.
Uns gelang ein Blick in sein Gesicht.
Die Augen waren >gebrochen<.
Judas Delany hatte das Schicksal erreicht, das uns dreien zugedacht gewesen war.
»Er hat es nicht anders verdient!« sagte Marcella mit harter Stimme.
***
Wir drehten uns zu ihr um.
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