Fürchte deinen Nächsten!
ab. »Lüge, alles Lüge. Die Wahrheit ist dir unbekannt. Hast du dich nicht gewundert, als die Morde passierten? Wie perfekt ich gewesen bin, obwohl ich doch in der Zelle saß und man sich nicht vorstellen konnte, daß jemand wie ich Menschen außerhalb der Klinik umbringen konnte.«
»Ich weiß es jetzt!«
»Stimmt, und es muß für dich ein Schock gewesen sein. Ebenso wie auf dem Weihnachtsmarkt. Ist es für dich nicht ein Traum gewesen, das auch zu können? Davon haben die Menschen immer geträumt. Sie haben darüber geschrieben. Fliegen und durch Wände gehen zu können. Uralte Wünsche und Träume, die ich mir erfüllt habe, und so werde ich bald unbesiegbar sein. Nein, das bin ich schon…«
»Vielleicht«, flüsterte die Psychologin, »vielleicht auch nicht. Welchen Preis hast du dafür bezahlt?«
»Nichts, gar nichts. Ich habe nicht bezahlt. Ich habe nur gegeben und bekommen.«
»Von wem hast du etwas bekommen?«
Sein Blick nahm einen schwärmerischen Glanz an. »Vom Mächtigsten überhaupt«, erklärte er.
Marcella hatte sich lange genug mit John Sinclair unterhalten, um schon Bescheid zu wissen. »Du meinst den Teufel?«
»Sehr gut, kleine Psychologin, wirklich ausgezeichnet. Ihn und keinen anderen meine ich. Er ist der Teufel gewesen, der mich besuchte und mich zu seinem Partner machte. Er kennt die Wünsche der Menschen, und er hat mich erhört. Sein Blut und mein Blut sind eine Verbindung eingegangen. Wir haben gemischt, wir sind jetzt Blutsbrüder, und so ist ein kleiner Teil seiner immensen Kraft auch auf mich übergegangen. Na, was sagst du dazu?«
»Ich muß es glauben.«
»Es stimmt.«
»Aber hast du daran gedacht, daß der Teufel oder wer auch immer dich nur als Werkzeug benutzt hat? Ist das schon durch deinen Kopf gegangen?«
»Wieso?«
»Er braucht jemanden. Er braucht immer einen, der für ihn Taten in seinem Namen durchführt. Er ist böse, und du hast dich an ihn verkauft. Das kann nicht gutgehen.«
»Doch, es geht gut. Du hast es gesehen.«
Zeit gewinnen, dachte Marcella. Das ist wichtig. Irgendwann wird Hilfe kommen, und sie vertraute auf die beiden Geisterjäger.
»Hat es dir die Sprache verschlagen, Psychologin?« Er kam näher und schabte schon mit einem Bein am Rand der Couch entlang. Als er etwa die Höhe ihres Bauchnabels erreicht hatte, kniete er sich nieder und starrte lächelnd in ihr Gesicht. Die Waffe hatte er neben sich gelegt, um beide Hände frei zu haben. Marcella konnte sich vorstellen, was bald folgen würde, und so suchte sie verzweifelt nach einem Ansatzpunkt für ein neues Gespräch.
»Der Teufel legt jeden rein.«
Die Hände, die er auf ihre Brüste legen wollte, verharrten. »Wie kannst du so etwas sagen?«
»Weil ich es weiß.«
»Mich nicht!«
»Doch, auch dich!«
Judas Delany wartete auf eine Antwort. Er war nicht mehr so entspannt. »Sag schon, was du denkst.«
»Du bist ein Spielzeug in seinen Händen. Du hast es nur nicht gemerkt. Er hat dich ausgesucht. Er sucht immer nach Menschen, die schwach genug sind, um ihm zu folgen. So bist du auf ihn hereingefallen. Alles war von ihm geplant, auch der Doppelmord.«
Sie wußte, daß es hart war, was sie gesagt hatte, und Judas war bei dem letzten Wort zusammengezuckt. Er hatte verstanden. Sein Mund öffnete sich, aber er sprach erst später und brachte die Worte auch nur flüsternd hervor. »Du sprichst von meinen Eltern?«
»Die meine ich!«
Plötzlich packte er zu. Seine Hände waren warm und kalt zugleich. Sie umklammerten Marcellas Oberarme. »Was soll das bedeuten? Was haben sie damit zu tun?«
»Sie wurden ermordet, nicht?«
»Ja!« Schrie er und erinnerte sich wieder daran, wie er sie gefunden hatte.
»Aber ihren Mörder hat man nicht gefunden!«
»Ich werde die Mörder noch finden!«
Fast hätte Marcella gelacht. Im letzten Augenblick riß sie sich zusammen. »Nein, Judas, du brauchst den Täter nicht zu suchen. Es sind auch nicht mehrere gewesen, es war nur einer, und du kennst ihn genau. Ja, du kennst ihn!«
»Wer soll das gewesen sein?«
»Dein neuer Freund, der Teufel!«
Die Worte schockten ihn. Delany schrie auf. Er schüttelte den Kopf und ließ Marcella los. Sie befürchtete, daß er durchdrehen und nach der Waffe greifen konnte, um sie zu töten, aber er riß sich zusammen. Er schüttelte den Kopf. »Erkläre es!« keuchte er dann. »Los, versuche, mir diesen Unsinn zu erklären!«
»Ich habe dir schon gesagt, daß der Satan jemanden suchte. Wenn er einen Plan hat, dann
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