Fürchte deinen Nächsten!
drückte ich die Tür vorsichtig in den Flur hinein und war froh, daß sie so gut wie kein Geräusch verursachte. Suko hielt die Beretta in der Hand. Die Dämonenpeitsche steckte schlagbereit im Gürtel. Er würde auch innerhalb einer Sekunde an seinen Stab herankommen können. Darauf setzte ich ebenso wie auf die Wirkung meines Kreuzes.
Der Flur war recht klein, aber nicht dunkel. Unter der Decke gab eine Lampe, die aussah wie ein Hut, genügend Licht ab. Eine normale Einrichtung, ein hellgrauer Teppichboden.
Und die Stille!
Sie war wirklich zum Greifen. Sie belastete uns. Sie verteilte sich schwer in der gesamten Wohnung, in der eine Tür nicht geschlossen war. Wir sahen sie zwar nicht, aber von der rechten Seite her fiel am Ende des Flurs ein weiterer Lichtstreifen in den Gang, der etwas dunkler war.
Suko und ich blieben fast nebeneinander. Mein Freund ging etwa einen halben Schritt hinter mir. Natürlich war er ebenso gespannt wie ich, und wir versuchten auch, unseren Atem zu unterdrücken.
Ganz ruhig konnten wir nicht sein. Bei jedem Schritt oder nur der kleinsten Bewegung schabte unsere Kleidung gegeneinander. Diese Geräusche waren leider nicht zu vermeiden.
Ich brauchte noch einen Schritt, dann hatte ich die Stelle erreicht, an der die beiden Lichtinseln zusammentrafen.
Rechts lag die offene Tür. Ich schaute in das Zimmer und konnte nur einen Teil davon überblicken.
Vor das breite Fenster waren Rollos heruntergelassen worden. Auch die Masse des Lichts hielt sich in Grenzen, weil die Deckenleuchte nicht strahlte. Steh- und Wandlampen breiteten ihren Schein aus.
Von Delany sah ich nichts. Aber auch nicht von Marcella. Allerdings mußte sie da sein, denn plötzlich drangen die heftigen Atemstöße eines Menschen zu uns.
Ich blickte Suko an und nickte.
Er gab mir ein Zeichen mit den Augen. Ich dachte nicht mehr darüber nach, was uns erwarten könnte, und betrat mit dem nächsten Schritt das Zimmer, um mich noch auf der Stelle nach links zu wenden.
Ja, Marcella war da, und ich sah sie. Das Licht reichte aus, um sie erkennen zu können, aber so wie ich sie hier auf der Couch liegen sah, hatte ich sie noch nie zuvor gesehen.
Sie war nackt!
Sie hatte mich entdeckt, weil sie genau in meine Richtung schaute. Ich sah ihre hellen Augen, deren Pupillen vom Licht der Lampen angestrahlt waren und deshalb so fremd schimmerten. Es konnte auch die Angst sein, die zugleich auf ihren Gesichtszügen lag. Sie kam mir vor wie jemand, der mir etwas mitteilen wollte. Allerdings nur in der Augensprache, denn sie traute sich nicht, ein Wort zu sprechen.
Marcella Ash hielt es nur so lange durch, bis ich den nächsten Schritt getan hatte. Dann aber hörte ich ihr Flüstern. »Er ist da! Aber man sieht ihn nicht…«
Suko, der hinter mir auf der Türschelle stehengeblieben war, hatte die Worte ebenfalls gehört. Wahrscheinlich war er ebensowenig davon überrascht worden wie ich. Wir hatten Zeit genug gehabt, uns gedanklich mit dem Killer beschäftigen zu können.
Bestimmt erwartete sie eine Antwort. Sie bekam sie durch mein Nicken, das von einem flüchtigen Lächeln begleitet wurde.
Ich hatte es mir abgequält, denn danach war mir beim besten Willen nicht zumute gewesen.
Ich bewegte mich mit kleinen Schritten tiefer in den Raum hinein. Wo steckte der Unsichtbare? Der Gedanke daran erzeugte bei mir einen Schauer, weil ich jeden Augenblick damit rechnen mußte, daß er blitzschnell zuschlug und uns nicht den Hauch einer Chance ließ. Mit seiner Machete hatte er schon genügend Menschen umgebracht. Suko und ich wollten nicht auch zu seinen Opfern gehören.
Ich holte mit der linken Hand das Kreuz aus der Jackentasche. Draußen war es kalt gewesen, und auch mein Talisman hätte kalt sein müssen, aber er hatte sich leicht erwärmt. Ein Zeichen, daß das Böse in der Nähe lauerte.
Auch Marcella ließ ich nicht aus den Augen. Beim Näherkommen sah ich sie genauer und entdeckte an ihrem Hals den roten Ring, von dem sich zwei Blutfäden gelöst hatten und in das Tal zwischen ihren Brüsten gesickert waren. Sie zitterte.
Suko gab mir Rückendeckung, aber auch er war machtlos, wenn er aus dem Unsichtbaren attackiert wurde.
Es war wichtig, daß wir Marcella wegbrachten. Vielleicht ließ es der Killer zu, da wir im Moment wichtiger für ihn waren. Aber ich irrte mich, er machte sich bemerkbar, und das geschah auf eine verdammt perfide Art und Weise.
Das Lachen war häßlich, und es klang mir von vorn entgegen. Etwa von
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