Fürchte dich nicht!
geschafft, Geis war wütend. Er spürte, wie das Blut an seinen Schläfen pochte. »Was soll das?«
»Denkst du, du kannst einfach aufkreuzen und mit mir diskutieren? Es geht dich nichts an, ob die Verdachtsmomente gegen Habibi ausreichen. Ich entscheide das. Geh wieder an den Strand und pass auf, dass niemand sein Handtuch fallen lässt. Das ist dein Job. Kapiert?«
»Du arrogantes …«
»Was denn?« Goronek drehte sich zu Geis um. »Willst du wieder zuschlagen? Wie vor zwei Jahren? Annika verachtet dich deswegen, ist dir das klar?«
Geis ballte die Fäuste. »Lass meine Familie da raus!«
»Deine Exfamilie. Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh die beiden sind, dass sie dich nicht mehr sehen müssen.« Der Kriminalrat bleckte zwei Reihen überkronter Zähne. »Ich war viel zu großzügig, damals. Ich hätte dich fertigmachen sollen.«
»Zu dumm, dass du dir vor Angst in die Hose geschissen hast.«
»Ich habe wenigstens was in der Hose. Michaela sagt, du hast nur jeden zweiten Tag einen hochgekriegt. Bei mir wird sie besser bedient. Und Annika …«
Geis musste schräg nach oben schlagen, denn Goronek überragte ihn um einen halben Kopf. Dafür brachte Geis mehr Gewicht auf die Waage und verfügte eindeutig über den härteren Punch. Das Nasenbein des Mannes aus Hannover brach mit einem hässlichen Geräusch. Blut spritzte und färbte das weiße Hemd rot. Goronek landete auf seinem Hintern.
»Du Arsch!«
Geis erstarrte. Unfähig, sich zu bewegen, sah er zu, wie Goronek seine Pistole aus dem Holster zog und entsicherte.
»Chef!« Schöning japste beim Laufen. »Alles in Ordnung, Chef?«
»Ja.« Der Kriminalrat rappelte sich auf. Seine Stimme klang undeutlich. »Sie sind suspendiert, Herr Geis. Geben Sie mir Ihre Waffe und Ihren Ausweis!«
20
Berlin, Wilmersdorf
A G T C C A G C. Grüne, schwarze, rote und blaue Ausschläge. Jeder Buchstabe, jede farbige Kurve stand für eine Base, für eine Erbinformation des FSME-Virus. Die RNA des Virus war vergleichsweise kurz, rund zehntausend Nukleotide reichten aus, um einen fremden Organismus zu erobern und sich selbst zu reproduzieren. Zehntausend Moleküle schafften es, einen Menschen krank zu machen oder zu töten.
Viola betrachtete die schematische Darstellung der RNA auf dem Monitor ihres Computers. Natürlich hatten Professor Blechschmidt und sein Team auf den neuen Hochleistungs-Sequenzer des Instituts zurückgreifen können. Innerhalb weniger Tage war es ihnen gelungen, den größten Teil des Virus-Genoms zu entschlüsseln. Jetzt galt es, die gewonnenen Daten mit den Gensequenzen des herkömmlichen FSME-Virus zu vergleichen. Gab es Abweichungen, vielleicht sogar zusätzliche Gene, die eine Erklärung für die neuen Eigenschaften des Virus lieferten? Obwohl das kaum vorstellbar war. Wegen ihrer geringen Kapazität eignete sich die RNA von Flaviviren nicht zur Aufnahme neuer Abschnitte. Deshalb mutierten FSME-Viren ja so selten, im Gegensatz zu den Grippeviren, die sich ständig veränderten.
Und doch – Viola entdeckte einen markierten Abschnitt, der die Aufmerksamkeit des Forscherteams geweckt hatte. Es handelte sich um eine Bauanleitung zur Herstellung eines Proteins. Das Protein fand sich in keiner FSME-Datenbank, es gehörte definitiv nicht zum Standardprogramm des Virus. Je länger Viola die Abfolge der Basen betrachtete, desto seltsamer kam ihr das Ganze vor. Eigentlich gab es dafür nur eine Erklärung: Das Virus war genetisch manipuliert worden. Jemand hatte die zusätzliche Sequenz eingebaut und die Oberfläche verändert.
Viola spürte die Aufregung wie eine eiserne Klammer um ihren Brustkorb. Sie sprang auf und ging zum Fenster. Professor Blechschmidt und sein Team mussten zu demselben Ergebnis gekommen sein. Viola kannte zwar nur die nackten Daten, sie wusste nicht, was im Team diskutiert wurde und welche Schlussfolgerungen daraus gezogen wurden, aber etwas anderes konnte sie sich nicht vorstellen. Am liebsten hätte sie Blechschmidt sofort angerufen und gefragt, was er nun zu tun beabsichtige. Doch das ging nicht. Sie durfte Daniel nicht gefährden. Und auch nicht sich selbst. Schließlich hoffte sie, in ein paar Wochen wieder einsteigen zu können.
Ein Schluck Kräutertee half ihr, sich ein wenig zu beruhigen. Am Horizont färbten die Lichter des Ku’damms den Nachthimmel orange. In weiter Entfernung gellte eine Polizeisirene und unten auf der Straße tastete sich ein einsames Taxi vorwärts. Wahrscheinlich war der Fahrgast so
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