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Fürchte dich nicht!

Fürchte dich nicht!

Titel: Fürchte dich nicht! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grafit
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betrunken, dass er sich nicht mehr an seine Hausnummer erinnern konnte.
    Es störte sie nicht, dass der Kräutertee längst kalt geworden war. Sie nahm einen weiteren Schluck und dachte über das Protein nach. Eiweiße waren in der Lage, sich in Zellkerne einzuschmuggeln und ihre Erbinformationen weiterzugeben. Damit machte sich das Protein unabhängig von dem Virus, das es transportiert hatte. Und entfaltete auch dann noch seine Wirkung, wenn die Viren längst abgestorben waren und die infizierten Menschen die FSME überwunden hatten.
    Viola ging zu ihrem Computer zurück und druckte die Informationen aus. Drei Basen eines Proteins bildeten eine Aminosäure. Biogenetiker verwendeten Buchstabencodes für die Aminosäuren, manchmal ergaben sich daraus einprägsame Kombinationen. Irgendwann während ihres Studiums hatte sie die Codes auswendig gelernt, aber das war lange her. Doch wozu gab es Lehrbücher? In ihrem Bücherregal musste noch so ein altes Schätzchen überlebt haben. Viola ließ ihren Blick über die Buchrücken schweifen. Richtig, da unten stand es. Sie zog das Buch heraus und blätterte es von hinten auf, die Codes gehörten zum Register auf der letzten Seite.
    Bewaffnet mit einem Kugelschreiber und einem Blatt Papier, machte sich Viola an die Entschlüsselung der Proteinbasen: AGC = M, CGA = A, ATC = R, ATG = E. MARE. Es folgten noch rund achtzig weitere Aminosäuren, doch Viola musste sie nicht mehr übersetzen. Von einem Protein, das mit der Aminosäurenkombination MARE begann, hatte sie schon einmal gehört. Aber wo? Mit ihrem Fachgebiet, der Virologie, konnte es nicht zusammenhängen, dann würde sie Bescheid wissen. Nein, es musste sich um einen Vortrag handeln, den sie bei einem Kongress gehört hatte. In Gedanken ging sie alle Tagungen durch, die sie in den letzten Jahren besucht hatte: Molekulare Virologie, Molekulare Biomedizin, Medizinische Epigenetik …
    Die Epigenetik beschäftigte sich mit der Frage, wie äußere Einflüsse auf das Erbgut und seine Aktivierung wirkten. Und wie man dies mithilfe der Gentechnologie rückgängig machen konnte. So war es gelungen, körperliche und psychische Eigenschaften, wie Krankheiten, Neigung zu Übergewicht oder Aggression, ein- oder auszuschalten. Vorläufig erst einmal bei Mäusen. Ja, das war’s! Sie hatte beim Epigenetik-Kongress einen Vortrag über transgene Mäuse gehört. Von Professor Walter aus Münster. Walters Mäuse produzierten dasselbe Protein wie die FSME-Viren.
    Viola stützte ihren Kopf in beide Hände. Sie erinnerte sich wieder. Walter setzte die Gentechnologie ein, um seinen Mäusen etwas ganz Bestimmtes auszutreiben. Das Thema hatte Viola deswegen fasziniert, weil sich ihr Leben ständig darum drehte. Und auf Norderney waren ihr die psychischen Veränderungen der Erkrankten aufgefallen. So unwahrscheinlich es klang, die zusätzliche Sequenz des neuen FSME-Virus war möglicherweise in der Lage, diese Veränderung zu bewirken. Aber sie kannte nur zwei Fälle. Was war mit der dritten Erkrankten, der Polizistin? Sie brauchte Gewissheit. Sofort!
    Drei Uhr nachts. Sollte sie es wagen? Sollte sie ihn anrufen? Bevor die Zweifel stärker werden konnten, hielt sie ihr Handy in der Hand und aktivierte die gespeicherte Nummer. Nach dem fünften Klingeln meldete sich eine verschlafene Stimme.
    »Habe ich Sie geweckt?«
    Martin Geis lachte rau. »Mitten in der Nacht? Wie kommen Sie bloß auf die Idee?«
    »Tut mir leid.« Sie hatte jetzt keine Ruhe für Geplauder. »Ich möchte Sie etwas fragen.«
    »Schlafen Sie nie?«
    »Zurzeit arbeite ich nachts. Diese Polizistin, die Ihnen … die …«
    »Die mich zwingen wollte, mit ihr zu schlafen – sagen Sie es ruhig.«
    »Inwieweit hat die FSME sie verändert, psychisch, meine ich?«
    »Sie machen Witze.« Das Lachen, das durch den kleinen Lautsprecher drang, ging in ein Husten über. »Entschuldigung. Wenn Sie Saskia Fischer kennengelernt hätten, würden Sie so etwas nicht fragen. Normalerweise ist sie sehr zurückhaltend, beinahe schüchtern. Nie im Leben hätte sie mich derart angegangen.«
    »Glauben Sie denn, dass Frau Fischer schon vorher an Ihnen interessiert war? Dass sie sich nur nicht getraut hat, es zu zeigen?«
    Geis dachte nach. »Ja. Das ist möglich. Manchmal, wenn ich sie angeguckt habe, ist sie rot geworden.«
    »Und Sie waren scharf auf Frau Fischer?«
    »Verdammt. Ja. Auch das ist möglich. Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«
    »Dass Sie füreinander bestimmt sind.« Viola

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