Fürchte dich nicht!
kicherte. »Ein Scherz. Ich meine, dass Saskia Fischer radikal in die Tat umgesetzt hat, was in ihren Vorstellungen bereits existent war. Weil ihr aufgrund der FSME ein Gefühl abhandengekommen ist, das gewöhnlich ihr Handeln bestimmt.«
»Angst«, sagte Geis nachdenklich. »Sie hatte keine Angst. Nicht einmal einen Hauch davon.«
»Wie Hannah Berends und Lars Rasmussen.«
»Was heißt das?«
»Kann ich noch nicht sagen«, wich Viola aus. »Vielleicht komme ich demnächst mal wieder nach Norderney. Dann erzähle ich Ihnen alles bei einem Essen.« Das war ihr einfach so rausgerutscht. Ohne Absicht.
»Das wird nicht klappen«, sagte Geis müde. »Morgen fahre ich nach Hannover. Für längere Zeit.«
»Warum?« Sie wunderte sich über ihre Enttäuschung. Und über das Bild, das sie vor Augen hatte: Saskia Fischer und Geis Hand in Hand auf der Fähre.
»Weil ich suspendiert worden bin.«
»Wieso denn?«
»Ach!« Er stöhnte. »Das ist eine lange Geschichte.«
Viola wartete. Doch da kam nichts mehr. Anscheinend wollte er nicht darüber reden. »Dann geht es Ihnen ja so wie mir.«
»Sie sind auch suspendiert?«
»So was Ähnliches. Beurlaubt.«
»Wie auch immer.« Der Hauptkommissar gähnte. »Ich bin raus aus dem Fall. Die Geschichte interessiert mich nicht mehr.«
»Schlafen Sie gut!«, sagte Viola.
Eine Weile blieb sie regungslos stehen. Dann legte sie das Handy auf den Schreibtisch.
Gegen acht versuchte sie es zum ersten Mal. Um neun meldete sich immerhin eine Sekretärin. Und um zehn hatte Viola Professor Walter persönlich am Telefon. In knappen Worten schilderte sie ihre Entdeckung, ohne zu erwähnen, was das veränderte Virus bereits angerichtet hatte und dass sie selbst von der Arbeit im Bundesinstitut ausgeschlossen war.
Walter brauchte eine Weile, um das Gehörte zu verarbeiten. »Das ist unmöglich«, sagte er schließlich. »Wir verwenden keine FSME-Viren. Das Virus kann nicht aus unserem Institut stammen.«
»Das habe ich auch nicht angenommen«, versicherte Viola.
Der süddeutsche Akzent des Professors wurde stärker: »Ist das Virus wenigstens deaktiviert worden?«
»Nein.«
»Es ist scharf? Kein ernst zu nehmender Wissenschaftler würde an einem aktiven Virus manipulieren. Die Folgen könnten verheerend sein.«
»Deshalb brauche ich ja Ihre Hilfe.«
Walter sog Luft zwischen den Zähnen ein. »Schicken Sie mir die Daten per E-Mail. Vielleicht kann ich Ihnen dann mehr sagen.«
»Ich würde gern nach Münster kommen und die Daten mitbringen«, sagte Viola. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
Walter war einverstanden. Sie vereinbarten, sich am nächsten Tag in seinem Institut für Medizinische Epigenetik zu treffen.
Den Rest des Vormittags verbrachte Viola damit, eine Zugfahrkarte und ein Hotelzimmer im Internet zu buchen, Informationen über Walters Forschungsgebiet auszudrucken sowie ihren Reisekoffer zu packen. Erst als sie zum Telefon griff, um ein Taxi zu bestellen, fiel ihr auf, dass sie alles ohne Schweißausbrüche oder erhöhten Pulsschlag geschafft hatte. Das bedeutete, sie konnte mittlerweile reisen wie andere Menschen auch. Hoffentlich dauerte die Normalität noch eine Weile an.
Am Abend erreichte sie Münster. Ihr Hotel befand sich an einem Platz, in dessen Nähe es eine Menge Kneipen gab, die vor allem viele junge Menschen anzogen. Etwas beklommen stellte Viola fest, dass ihr Bett unter einer Dachschräge stand. Immerhin lag das Zimmer auf der ruhigeren, der Seite zum Hof, sodass sich in der Nacht ein Fenster öffnen ließ.
Nach einem späten Essen im Hotelrestaurant spürte sie noch kein Verlangen nach ihrem Bett und den Skurrilitäten des abendlichen Fernsehprogramms. Wieder kam ihr Norderney in den Sinn, die luxuriöse Suite, das Essen mit Martin Geis. Auf einmal fühlte sie sich einsam. Warum war sie überhaupt nach Münster gefahren? Warum ging sie das Risiko einer Panikattacke ein, anstatt in Berlin zu bleiben und die Entwicklung abzuwarten?
Um ihre Nerven zu beruhigen, entschloss sie sich, einen kleinen Spaziergang zu machen. Die Straßen waren noch voller als bei ihrer Ankunft, Gruppen von Schülern und Studenten zogen grölend durch das Kneipenviertel. Ein paar Meter weiter, vor einer vierspurigen Straße, blieb Viola stehen. Hinter der Straße erstreckte sich ein riesiges Areal, auf dem ein Jahrmarkt aufgebaut war. Den Plakaten am Straßenrand entnahm sie, dass der Jahrmarkt in Münster Send genannt wurde. Blinkende Monstermaschinen
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