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Fürchte dich nicht!

Fürchte dich nicht!

Titel: Fürchte dich nicht! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grafit
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draußen herein. Drei oder mehr Autos hielten vor der Kate. Türen wurden geschlagen, Männer fluchten.
    »Sorg bitte dafür, dass ich in ein Krankenhaus komme und richtig behandelt werde.« Viola zog ihre Hand aus dem Terrarium und schüttelte eine Maus ab, die sich festgebissen hatte. »Und dass ich weder mir noch jemand anderem Schaden zufügen kann.«
    »Bist du verrückt? Du hast dich …«
    »Ja«, sagte Viola. »Ich werde nie mehr Angst haben. Falls ich es überlebe.«
    Ein Lautsprecher knackte. Goroneks verzerrte Mikrofonstimme drang bis unter die Dachbalken.

30
Betreff: Kongo

    Weißt du noch damals? Wir saßen Holzwand an Holzwand, wir konnten uns nicht sehen, aber wir konnten miteinander flüstern. Es war verboten, laut zu reden, sie nahmen es als Vorwand, mich zu schlagen und zu treten. Mit ihren Holzknüppeln prügelten sie auf mich ein, bis die Haut platzte. Sicher hast du meine Schreie gehört und mein Wimmern, wenn ich auf dem Boden lag, in meinem eigenen Dreck und Blut, umgeben von Myriaden von Fliegen und Mücken. Mehr als einmal habe ich mir gewünscht, tot zu sein, einfach die Augen zu schließen und zu sterben.

    Gott hat mir diese Gnade nicht gewährt. Er hatte andere Pläne mit mir. Und obwohl ich nahe daran war, gegen ihn zu rebellieren, mir gegen seinen Willen das Leben zu nehmen, so weiß ich heute, welch wunderbare Absicht er mit dieser Prüfung verfolgte. Die schlimmste Zeit, die ich jemals erlebte, war zugleich der Beginn meiner Erweckung – als ein Wesen, das sich weit über die Niederungen der menschlichen Existenz erhebt, dem Adler gleich, der über die Berge schwebt.

    Ich hörte dich weinen, Viola, auf der anderen Seite der dünnen Holzwand. Ich weiß, welche furchtbaren Ängste du ausgestanden hast. Der einzige Trost, den ich dir bieten konnte, bestand aus Bibelzitaten und dem Rest Zuversicht, den ich mir bewahrte. Ein schwacher Trost, der nicht einmal mich selbst überzeugte. Ich war am Ende und du hast es gespürt. Meine Worte klangen schal und leer, durch hundertfache Verwendung abgenutzt. Ich zweifelte. An Gott. Am Sinn des Guten und des Lebens. Das Böse schien viel zu banal und offensichtlich. Ich war nach Afrika gekommen als Apostel, das Wort Gottes zu verkünden und die Menschen zu ermahnen. Geblieben bin ich als zynischer Trinker. Während das Land um mich herum im Chaos versank und ein Menschen leben nicht mehr wert war als ein paar Dollar oder ein Kleidungsstück. Aus einer Laune des Augenblicks heraus wurden Kinder erschlagen und Frauen verschleppt und vergewaltigt. Der Teufel hatte Menschen gestalt angenommen in jener Zeit. Sie überfielen die Dörfer in der Nacht, hinterließen Grauen und Verzweiflung. Und ich beerdigte die Toten, sprach an den Gräbern auswendig gelernte Formeln, die von Mal zu Mal hohler klangen. Meine einzige Tat, mein Ausharren an einem der großen Seen im Osten Kongos, im Herzen der Finsternis, entsprang keiner Kraftanstrengung, sondern deren Gegenteil: Ich war zu schwach und zu deprimiert, um zu fliehen. In den Momenten, in denen mir der Alkohol erlaubte, einen klaren Gedanken zu fassen, vertraute ich darauf, dass man einen alten, weißen Priester, der seit Jahren in der kleinen Missionsstation lebte, verschonen würde. Ich irrte mich.

    Am frühen Morgen zerrten sie mich aus dem Bett und nahmen mich mit. Ich glaube, für sie war es nur ein großer Spaß, ich sollte eine Art Maskottchen für sie spielen. Sie zwangen mich, ihre Waffen zu weihen und afrikanischen Göttern Tieropfer zu bringen. Hätten sie den christlichen und alle anderen Götter auf ihrer Seite, sagten sie, würden sie unverwundbar sein. Ich tat, was sie von mir verlangten. Mit einer Machete am Hals hätte ich jeden Gott verehrt.

    Wir zogen nach Westen. Die Banditen, die mich entführt hatten, waren auf der Flucht vor anderen Banditen oder der ruandischen oder der ugandischen Armee, es gab damals viele Armeen und Milizen im Gebiet der großen Seen. Auf den Flüssen schwammen Leichen, so viele, dass die Krokodile träge und vollgefressen an den Ufern liegen blieben. Eine Hölle, die sich immer wieder in ein Paradies verwandelte, mit Wasserhyazinthen in allen Farben vor einem großartig rot glühenden Sonnenuntergang, begleitet vom Gekreisch der Affen und dem Konzert der Ochsenfrösche.

    Ich hatte längst die Orientierung verloren, stolperte hilflos hinter den Banditen her. Hätte Joseph, der Anführer der Bande, nicht ein Interesse daran gehabt, mich am Leben zu halten, wäre

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