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Fürchte dich nicht!

Fürchte dich nicht!

Titel: Fürchte dich nicht! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grafit
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werden?«
    »Ja. Nach dem ersten Selbstmordversuch wurde ich routinemäßig abgefertigt, mit den Tipps und Pillen, die ich schon kannte. Nach dem zweiten willigte ich in einen vierwöchigen Klinikaufenthalt ein. Ich lernte Menschen kennen, die genauso oder noch schlechter dran waren als ich, das hat mir geholfen, meine Probleme mit etwas Abstand zu sehen. Und ich traf einen Arzt, der in mir die Lust zu kämpfen wiedererweckt hat. Ganz langsam arbeitete ich mich ins normale Leben zurück, jeden Tag ein Stückchen mehr, Rückschläge haben mich nicht mehr umgeworfen. Und irgendwann dachte ich, ich könnte es sogar mal wieder mit einem Mann probieren.«
    »Mit diesem Ministeriumssprecher, den du angerufen hast?«

    »Heiner Stegebach.« Viola hob den Kopf, Wolken schoben sich vor den Sternenhimmel und knipsten einen leuchtenden Punkt nach dem anderen aus. »Es war ein Fehlschlag, ich musste meine Grenzen erkennen.« Sie wischte sich eine Träne aus dem Auge und lächelte Geis traurig an. »So sehr ich dich mag, Martin, es würde ein bitteres Ende nehmen.«
    Das junge Paar kicherte, ein Käuzchen stieß einen heiseren Schrei aus, der allen Mäusen im Umkreis das Blut in den Adern gefrieren ließ.
    »Schade«, sagte Geis. »Ich war gerade dabei, mich in dich zu verlieben.«
    »Vielleicht habe ich das schon längst.«
    Er wusste nicht, was er sagen sollte. Einerseits glaubte er ihr, andererseits fühlte er sich verraten, so als hätte sie ihn mit falschen Versprechungen nach Münster gelockt. »Und was machen wir jetzt?«
    »Gib mir Zeit«, bat Viola. »Vielleicht …«
    Zeit. Davon würde er bald genug haben. Aber würde er auch die Geduld aufbringen, sie verstreichen zu lassen?
    »Müssen wir nicht bald aufbrechen?«
    Violas Frage riss Geis aus seinen Gedanken. »Ja. Ich hole unsere Sachen aus dem Zimmer, dann verschwinden wir unauffällig.«
    »Wir kommen nicht zurück?«
    Er schüttelte den Kopf. »Spätestens morgen haben sie uns hier ausfindig gemacht.«

     
    Als er im Zimmer stand, konnte er der Versuchung nicht widerstehen. Er musste sich Gewissheit verschaffen, diesen letzten Rest Sorge beseitigen, der ihn seit dem Anruf am Mittag umtrieb.
    Nach dem fünften Klingeln meldete sich Michaela mit verschlafener Stimme.
    »Wie geht es ihr?«
    Sie brauchte eindeutig zu lange für die Antwort. »Annika? Der geht es gut. Ich meine, den Umständen entsprechend.«
    »Warum verarschst du mich? Ich wette, Annika liegt in ihrem Bett, keine drei Meter von dir entfernt. Goronek hat dich benutzt, weil er herausfinden wollte, wo ich bin. Und du hast bei diesem miesen Spiel mitgemacht.« Er formulierte es nicht als Frage, sondern als Feststellung, beinahe sachlich.
    »Und du bist selten dämlich, Martin.« Michaela entsorgte ihre geheuchelte Freundlichkeit wie ein benutztes Papiertaschentuch. »Peter Goronek ist mein Mann und du wirst polizeilich gesucht, weil du irgendwas verbrochen hast, was ich gar nicht so genau wissen will. Nicht nur, dass du dich um deine Beamtenstellung bringst, nein, du musst noch tiefer sinken. Wem, glaubst du wohl, bin ich zu mehr Loyalität verpflichtet? Und wie soll ich das Annika erklären? Sie hat dich immer für ein Vorbild gehalten.«
    »Sag ihr, dass ich einer der Guten bin, egal, was Goronek über mich erzählt.«
    Michaela atmete in den Hörer. Geis fragte sich, ob Goronek neben ihr lag und zuhörte. Aber vermutlich hielt sich der Kriminalrat eher irgendwo in der Nähe von Münster auf, begierig, ihn in die Finger zu bekommen.
    »Tu mir einen Gefallen, Martin«, sagte Michaela in einem Ton, der sich nicht zwischen Wunsch und Drohung entscheiden konnte. »Lass dich nicht erschießen! Erspar deiner Tochter wenigstens das Trauma, ihren Vater auf diese Art zu verlieren.«
    »Ich werd’s versuchen«, sagte Geis. »Obwohl ich glaube, dass das für deinen neuen Mann eine große Enttäuschung sein wird.«
    Ohne ihre Antwort abzuwarten, legte er auf.

29
Landstraße Telgte-Davert

    Geis hatte auf der Karte eine Strecke herausgesucht, die sie um Münster herumführte. Sie fuhren über schmale Straßen, auf denen mehr Kaninchen als Autos unterwegs waren, und durch nachtschlafene Käffer, in denen die Häuser abweisend wirkten. Der Polizist blickte mit versteinertem Gesicht auf die Fahrbahn. Seitdem sie in das Mietauto gestiegen waren, hatte er nicht mehr als drei Worte verloren.
    Viola wertete Geis’ Schweigen als Reaktion auf ihr Gespräch im Hotel. War es ein Fehler gewesen, dass sie ihn angerufen und

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