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Fürchte dich nicht!

Fürchte dich nicht!

Titel: Fürchte dich nicht! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grafit
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ich an einem namenlosen Ort verendet wie Hunderttausende andere in jener Zeit. Joseph war mein Beschützer, Faustin, sein Stellvertreter, mein Peiniger. Faustin quälte mich, wenn Joseph nicht in der Nähe war, die linke Hand behielt er stets in der Hosentasche, seinen Talisman umklammernd, aus Furcht, mein gekreuzigter Gott könnte ihn bestrafen.

    Natürlich wusste Joseph genau, was Faustin mit mir machte, er duldete es, solange es Faustin nicht zu weit trieb, ich in der Lage blieb, mich aufrecht zu halten.

    So wie es Faustin auch auf dich abgesehen hatte, Viola. Ich konnte ihn hören, seine heisere, gierige Stimme, jenseits der dünnen Holzwand. Sein Verlangen, dich zu besitzen, und seine Enttäuschung, als Joseph ihm verbot, das kostbare Gut zu beschädigen. Ja, du warst bares Geld wert, du und die anderen Wissenschaftler. Im Gegensatz zu mir. Ich war nur ein alter Gaukler, den niemand vermisste. Deshalb ließ Faustin seine Wut an mir aus, ich war dein Schild, der die Schläge abfing, die er dir zugedacht hatte. Ich bin nicht sicher, ob ich diesen Kelch freiwillig getrunken hätte. Aber heute empfinde ich Freude darüber, dass es so gekommen ist.

    Nur fünf Tage lehnten wir Wand an Wand, in dieser Holzhütte mitten im Dschungel. Dann brachten sie dich weg, dich und die anderen Wissenschaftler. Ich musste bleiben. Irgendwann merkte ich, dass ich allein war, sie hatten mich einfach zurückgelassen. Mit letzter Kraft gelang es mir, mich zu befreien. An die darauffolgenden Wochen kann ich mich kaum erinnern. Fieberschübe plagten mich, die Wunden schmerzten bei jedem Schritt. Wie durch ein Wunder erreichte ich ein Dorf mit Verbindung zur Außenwelt. Auf der Ladefläche eines Lasters kam ich halb tot in Kisangani an. Und einen Monat später war ich in der Lage, das Krankenhaus zu verlassen und nach Europa zurückzukehren.

    Die alten Zeitungen, die ich las, berichteten ausführlich über das glückliche Ende eurer Geiselhaft. Ich schrieb Briefe an dich – und warf sie in den Papierkorb. Ich wählte deine Telefonnummer – und legte vor dem ersten Freizeichen auf. Du würdest mich verachten, glaubte ich, so wie ich meine eigene klägliche Existenz verabscheute. Erst wollte ich ein anderer werden. Bevor ich dir gegenübertreten durfte, musste ich mich verwandeln.

    Dabei war ich oft in deiner Nähe, manchmal hätte ich nur den Arm ausstrecken müssen, um dich zu berühren. Ich verfolgte deinen Werdegang, deine beruflichen Erfolge und deine privaten Rückschläge. Deine Ängste machten mich genauso krank wie dich, war mir doch allzu bewusst, woher sie stammten. Und ich suchte einen Weg, dir zu helfen.

    Wenn du diese Zeilen liest, Viola, ist mein Haus, mein Geheimnis entdeckt worden. Vielleicht sogar von dir. Niemand kann besser ermessen, welche Chancen für die Menschheit darin stecken. Ich hoffe sehr, du verstehst die Logik und Schönheit meines Plans. Denn das, was bisher geschah, ist erst der Anfang, weitaus Größeres wird folgen. Ich bin nicht allein, es gibt Menschen, die mir helfen. Du könntest dazugehören. Lass uns die nächsten Schritte des Weges gemeinsam gehen, Viola! Du weißt, was du tun musst. Unsere Zukunft wird kommen.

Fünfter Teil
Die Verwandlung

31
Hamburg, Reeperbahn

    Freitagabend, Nieselregen. Taxiwetter. Die Leute winkten wie verrückt. Man konnte gar nicht schnell genug anhalten. Touristen, die nur zum Gucken auf die Reeperbahn gekommen waren. Mal eine Nutte am Straßenrand angaffen, mit rotem Kopf und steifem Nacken durch die Herbertstraße marschieren, beinahe, aber auch nur beinahe einen Tabledance-Laden betreten. All die Sachen, die man später erzählen konnte, in Braunschweig, Celle oder Kleinkleckersheim. Ein bisschen ausgeschmückt, okay, da hatte man mit der Nutte um den Preis verhandelt und im Tabledance-Schuppen mit Scheinen nur so um sich geworfen. Die Kumpels in Braunschweig oder Celle würden es glauben – oder auch nicht. Nach dem fünften Bier war das sowieso egal.
    Karla konnte diese Typen an der Nasenspitze erkennen, schließlich fuhr sie schon seit fünfzehn Jahren Taxi in Hamburg. Weicheier und Warmduscher, die beim ersten Regentropfen in ihr Hotel flüchteten. Sonst würden sie vielleicht in Versuchung kommen, einen dieser verruchten Schuppen von innen zu besichtigen. Um zu überprüfen, ob ihre kranken Kleinstadtfantasien mit der Realität übereinstimmten. Doch dazu fehlte ihnen der Mut. Die Sünde war nur aus sicherem Abstand reizvoll, wer wusste schon, was man

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