Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer
Krankenwagen rufen.« In diesem Moment erst bemerkte er Brodie. »Vi? Wer ist der Cowboy, der da auf dem Tisch sitzt?«, fragte er mich. Er nickte nur kurz in Brodies Richtung, ging aber nicht auf ihn zu oder streckte ihm die Hand hin, um ihn zu begrüßen. Es war, als würde mein Bruder instinktiv spüren, dass mit Brodie etwas nicht stimmte.
Dass er schlecht war.
Durch und durch böse.
»Lauf«, wollte ich zu Luke sagen, aber mein Mund war so ausgetrocknet, dass kein Laut herauskam. Ich hustete. » Lauf «, flüsterte ich.
Diesmal hörte Luke mich. Er wich zur Tür zurück, drehte sich um …
Aber Brodie war schneller. Er schwang sich vom Tisch und seine Stiefel gaben ein klackerndes Geräusch von sich, als er auf den Fliesen aufkam. Aus dem Augenwinkel sah ich etwas aufblitzen und im nächsten Moment perlte Blut von der linken Wange meines Bruder. Luke schaute erst fassungslos, dann wütend.
Und plötzlich wurde sein Blick leer.
Ich wollte zu ihm gehen, ihn in den Arm nehmen und die Leere aus seinem Blick schütteln, aber River hielt mich zurück. Und im nächsten Moment begriff ich, warum.
Luke ging wie in Trance auf das Küchenmesser zu, das auf dem Boden lag, hob es auf, packte Neely von hinten an den Haaren, riss seinen Kopf zurück und hielt ihm die Klinge an die straff gespannte Haut seiner Kehle.
»Langsam kommt Stimmung auf.« Brodie klatschte in die Hände. »Mal sehen. Ich glaube, der erste Tagesordnungspunkt lautet: Neely loswerden. Und zwar für immer. Mal abgesehen davon, dass er die Gabe nicht vererbt bekommen hat, hat er einfach nicht deine … moralische Grenzwertigkeit, River. Du und ich, wir sind aus demselben Holz geschnitzt. Du weißt es nur noch nicht.«
River ignorierte ihn. »Lass das Messer fallen, Luke«, befahl er. »Lass es fallen.«
»Ich kann nicht.« Lukes Stimme klang angespannt und sein Blick war fest auf Neelys Kehle gerichtet. »Dieses Schwein hier hatte vor, meine Schwester zu verbrennen. Ich muss ihn mit dem Messer in Schach halten, damit er nicht abhaut.«
»Luke«, sagte ich. Ich krallte beide Hände in meinen Rock und knüllte den Stoff zusammen. »Luke, Luke, Luke, Luke.«
River versuchte es noch einmal. »Nicht, Luke. Das ist ein Trick. Lass ihn los.«
Luke schüttelte den Kopf. »Kann nicht. Tut viel zu weh.«
Ich wollte ihn anschreien, so wie ich Neely angeschrien hatte. Ich dachte daran, auf die Knie zu fallen und Brodie zu bitten, Neely gehen zu lassen, so wie ich es für River getan hatte, aber ich wusste, dass das nicht noch mal funktionieren würde. » Hör auf, Brodie. Hör endlich auf damit «, schrie ich ihn trotzdem an.
»Ich bring dich um«, flüsterte Neely. »Verlass dich drauf. Ich schlage dir mit meinen Fäusten das Gesicht zu Brei. Mal sehen, ob du immer noch lachst, wenn du an deinen eigenen Zähnen erstickst, du krankes Arschloch.« Die Klinge grub sich in seinen Hals, während er sprach, genau wie bei River vorhin, und unter der silbernen Schneide bildete sich eine dünne rote Linie. River sah sie und stöhnte verzweifelt auf.
Er packte den Arm meines Bruders und versuchte, ihn nach unten zu ziehen. »Lass das Messer fallen, Luke«, rief er noch einmal. » Lass es fallen. «
Luke schrie, während sein Arm sich langsam senkte. Er schrie wie damals mit zehn, als er aus einem der Fenster von Citizen Kane gefallen und sich beide Beine gebrochen hatte. Er schrie und schrie und hörte nicht mehr auf.
River ließ ihn los und wich zurück. Sofort verstummte Luke und drückte das Messer wieder an Neelys Kehle.
»Hab ich es euch nicht gesagt?« Brodie lachte. »Meine Opfer mögen es nicht, wenn man sie stört.«
River wandte den Blick von Luke und dem dünnen roten Rinnsal ab, das in Neelys Hemdkragen tropfte, drehte sich zu Brodie um und sah ihn an. Der Ausdruck in seinen Augen war zutiefst verletzt und zugleich voll kalter Wut. »Wusstest du, dass ich sehen kann, welche Farbe ein Mensch hat, Brodie?« Er legte eine Hand auf sein Herz. »Davon hat dir unser Vater wahrscheinlich nichts erzählt, oder?«
Brodie nickte. »Doch, hat er. Aber ich scheiß drauf. Ich kann es nicht und wüsste auch nicht, was einem das bringen soll«, sagte er achselzuckend.
»Die meisten Leute leuchten farbig«, fuhr River unbeirrt fort. »Rosa, Gelb, Blau oder Grün. Du nicht. Du bist schwarz. Schwarz wie Kaffee, der sich über einen Nachthimmel ergießt. So etwas wie dich … habe ich noch nie zuvor gesehen …«
Meine Knie wurden weich, als ich die Angst in
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