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Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Titel: Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: April Genevieve Tucholke
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es gefunden?«
    »Ganz hinten in einem von den Schränken.« Sunshine schüttelte sich, als würde ihr schaudern, aber es war nicht zu übersehen, dass das nur gespielt war. »Wir sind mit einem Geist in Verbindung getreten, Violet. Dem Geist eines Mädchens. Sie ist mit zehn ins Meer gefallen und ertrunken, und jetzt schwebt sie durch Citizen Kane und beobachtet uns.« Sunshine riss die Augen auf. »Ganz schön unheimlich, was?«
    »Seit wann glaubst du denn an Geister, Sunshine?«, fragte ich und legte mehr Verachtung in meine Stimme, als es vielleicht angemessen gewesen wäre. Sunshine war davon überzeugt, dass Jungs auf ängstliche Mädchen standen. Und wahrscheinlich hatte sie sogar recht damit. Wenn ein Junge es schaffte, ein Mädchen zum Kreischen zu bringen, erhöhte er dadurch die Chance, dass sie sich ihm Schutz suchend in die Arme warf. Und wenn sie erst einmal in seinen Armen lag, war der Weg zu ihren Brüsten wahrscheinlich nur noch ein Katzensprung.
    »Hey, Vi – hängt im Ballsaal nicht so ein kleines Bild von einem blonden Mädchen, das früh gestorben ist und mit dem wir irgendwie verwandt sind?«
    Ich warf meinem Bruder einen scharfen Blick zu. »Ja, genau. Sie hieß True und war zufälligerweise Freddies Tochter … Dads jüngere Schwester. Freddie hat nie über sie gesprochen, aber Dad hat mir erzählt, dass sie als junges Mädchen im Meer ertrunken ist. Anscheinend hat er dir auch davon erzählt.«
    Luke hob unschuldig die Hände. »Ich schwöre, ich habe noch nie etwas von ihr gehört. Sie hat durch das Ouija-Brett zu uns gesprochen.« Er stieß unmerklich mit dem Knie an das Brett, worauf der kleine Holzzeiger mit dem Loch darin sich »wie durch Geisterhand« bewegte.
    Ich focht ein stummes Blickduell mit meinem Bruder aus, der mich ansah, als könne er kein Wässerchen trüben. »Also gut«, seufzte ich schließlich. »Dann lass uns in den Ballsaal rübergehen.«
    Auf dem glänzenden Parkettboden des ehemaligen Ballsaals, der zur Gemäldegalerie umfunktioniert worden war, hatte schon seit Jahren niemand mehr das Tanzbein geschwungen – bis auf den einen Abend, an dem meine Eltern das alte Grammofon vom Dachboden holten und Luke und mir ein paar der Standardtänze beibrachten, die Mom als Debütantin gelernt hatte, als sie noch eine hinreißende Südstaatenschönheit gewesen war und keine Künstlerin mit strähnigen langen Haaren, die sich nicht schminkte, ständig Farbreste unter den Fingernägeln kleben und nur Degas im Kopf hatte.
    Nachdem Mom und Dad uns ein paar Tanzschritte beigebracht hatten, setzten Luke und ich uns auf den Boden und schauten zu, wie die beiden bis zum Morgengrauen gemeinsam über das Parkett des Ballsaals schwebten.
    Das war eine meiner guten Erinnerungen.
    »Da drüben hängt es.« Ich deutete auf ein Porträt in der gegenüberliegenden Ecke. Die Wände waren mit Bildern bedeckt, von denen die meisten meine Eltern oder ihre Künstlerfreunde gemalt hatten, aber es waren auch ein paar darunter, die schon immer dort gehangen hatten. Freddie war nicht nur eine wohlhabende, sondern vor allem auch eine kluge und charmante Frau gewesen, die sich ebenfalls in Künstlerkreisen bewegt hatte, weshalb es über ein Dutzend Bilder und Zeichnungen von ihr gab. Auf den meisten war sie noch jung, und das Strahlen in ihren leuchtend blauen Augen sah aus, als könnte es nie erlöschen.
    Was natürlich ein Trugschluss war.
    Allerdings hatte mein Vater die Bilder von Freddie so hoch oben aufgehängt, das man richtig den Kopf verdrehen musste, um sie sich anzusehen. Vielleicht hatte er das getan, weil es überwiegend Akte waren, und er es wohl nicht so toll fand, seine eigene Mutter ständig nackt zu sehen.
    Sunshine, Luke und ich stellten uns vor das Porträt von True und betrachteten es. Wir konnten das Licht nicht anmachen, weil die drei Kronleuchter schon vor Jahren kaputtgegangen und nie repariert worden waren, aber der Mond fiel durch die Fenster und Luke hatte eine kleine Taschenlampe mitgebracht, sodass wir genügend sehen konnten. Das Porträt war nicht besonders groß, höchstens fünfzehn mal fünfzehn Zentimeter. Es hing zwischen einem Bild meiner Mutter, das einem frühen Chagall nachempfunden war, und einem Porträt meines Großvaters Lucas White, das ihn mit Zigarre und einer Blume im Knopfloch zeigte. True war so jung auf dem Bild. Sie hatte dieselben weizenblonden Haare gehabt wie ich, einen hellen Teint, rosige Wangen und einen entrückten, märchenhaften Ausdruck in

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