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Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Titel: Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: April Genevieve Tucholke
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dem Friedhof, River?«
    Er drehte sich um. »Was machst du denn da?«, sagte er, ohne auf meine Frage einzugehen, und beobachtete grinsend, wie ich auf den Zehenspitzen wippte.
    »Ich versuche, nicht zu viel Kaffee zu trinken«, antwortete ich und setzte die Fersen wieder ab. »Es ist schwieriger zu schlucken, wenn man auf Zehenspitzen steht.«
    River hob seine Tasse an den Mund und stellte sich ebenfalls auf die Zehenspitzen. Er war wieder barfuß. Offensichtlich fühlte er sich so wohler, was mir gefiel, weil ich seine Füße schön fand. Er hob die Fersen in die Luft, trank, stellte sich wieder normal hin und sah mich an. »Du bist seltsam, Vi. Wusstest du das?«
    Ich nickte.
    »Bist du als Kind viel allein gewesen?«
    Wieder nickte ich.
    Er lächelte. »Ich mag seltsame Menschen. Die meisten Leute sind viel zu normal für meinen Geschmack. Als Kinder sind wir alle noch ziemlich durchgeknallt, und wenn wir dann erwachsen werden …«
    »Versuchst du etwa gerade, das Thema zu wechseln, River?«
    »Ja.«
    »Tu’s nicht.« Ich verengte die Augen in der Hoffnung, dadurch überzeugender zu wirken.
    »Lass mich dir zuerst eine Geschichte erzählen, bevor ich deine Fragen beantworte.« River schaute auf seinen Espresso, dann auf mich und schließlich auf die gegenüberliegende Wand. »Ich kannte mal einen Jungen, mit dem ich ziemlich viel Zeit verbracht habe, als ich noch jünger war. Man könnte wohl sagen, dass er so was wie mein bester Freund war. Jedenfalls geriet er ständig in Schwierigkeiten. Er legte sich mit anderen Kindern an, die viel stärker waren als er, und machte Sachen, ohne vorher darüber nachzudenken, was sie für Folgen hatten, was dazu führte, dass er sich ständig prügelte.«
    River hielt einen Moment inne und sah plötzlich sehr ernst aus. So ernst wie bei unserem zweiten Besuch auf dem Friedhof. Der Ausdruck in seinen Augen machte mir Angst, weil er an ihm so ungewohnt war … aber gleichzeitig faszinierte er mich auch.
    »Dabei lag es nur daran, dass die Leute ihn nicht verstanden«, fuhr River fort. »Er suchte nicht bewusst Streit mit anderen, er war einfach nur … ehrlich. Er sagte immer, was er dachte.« River starrte nach wie vor an die Wand und sah mich nicht an. »Ich versuchte, ihn zu schützen, und hatte wegen den ganzen Prügeleien selbst ständig blaue Flecken. Mein Dad war so wütend darüber, dass er mir jedes Mal, wenn ich danach nach Hause kam, noch mal eine Tracht Prügel verpasste.«
    Er lachte kurz auf, dann wurde er wieder ernst.
    »Und dann?«
    »Und dann was?«, fragte River, nachdem er einen Moment lang vor sich hin gestarrt hatte.
    »Was ist aus deinem besten Freund geworden? Erzähl die Geschichte zu Ende, River.«
    »Was aus ihm geworden ist?« Sein Körper versteifte sich, und er biss die Zähne so fest aufeinander, dass sich neben seinem linken Mundwinkel ein Grübchen bildete. Dann atmete er tief ein und sagte: »Ich habe ihn verbrannt.«
    »Du hast was ?«
    »Ich habe deswegen heute noch manchmal Albträume.« Er trank seinen Espresso aus und stellte die Tasse auf die Küchentheke.
    Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter, worauf er mich endlich ansah. »Unsinn«, sagte ich.
    River schüttelte meine Hand mit einem Schulterzucken ab. »Das ist die Wahrheit. Wir haben am Strand ein Lagerfeuer gemacht und irgendetwas gespielt. Ich stolperte, fiel gegen ihn und er … landete im Feuer.«
    »Aber das war ein Unfall. Du hast es nicht absichtlich getan.«
    »Aber das ändert nichts daran, dass es trotzdem passiert ist, oder? Ich war schuld daran. Er brannte , Vi.«
    In Rivers Augen glitzerte es. Er wirkte … ich weiß nicht, irgendwie tragisch.
    Es machte mich betroffen, ihn so zu sehen.
    Ich zog ihn an mich und hielt ihn fest. Nach einer Weile entspannte er sich. »Das tut mir leid«, sagte ich. »Aufrichtig leid. Du musst nicht weiterreden, wenn du nicht möchtest.«
    Ich spürte, wie Rivers Hände zu meinen Hüften hinabglitten und dann beugte er sich zu mir hinunter und küsste mich. Dabei ließ er sich sehr viel Zeit.
    Er küsste gut. Sanft. Nicht hart und gierig wie Sean Fry. Rivers Kuss war so, als wolle er sagen: Ich nehme mir alle Zeit der Welt, weil ich weiß, dass du nicht davonläufst .
    Und das tat ich auch nicht. Der Kuss auf dem Friedhof hatte mich so erschreckt, dass ich zur Salzsäule erstarrt war. Jetzt war es anders. Diesmal erwiderte ich den Kuss. Zwar wusste ich nicht genau, was ich tat, aber ich glaubte, es zu wissen.
    Rivers Kuss schmeckte nach

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