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Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Titel: Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: April Genevieve Tucholke
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herumirren, Hexenverbrennungen, Trinker, die sich in aller Öffentlichkeit umbringen. Ist das die Endzeit, Schwester? Naht die Apokalypse?« Luke nahm einen tiefen Schluck von seinem Eistee und schüttelte den Kopf. »Ich hab es ja gestern Abend schon gesagt … Das hat alles damit angefangen, dass River herkam. Das kann ein Zufall sein. Aber es ist schon extrem ungewöhnlich, dass man mit eigenen Augen sieht, wie der Mann, mit dessen Sohn man noch einen Tag vorher bei sich zu Hause auf dem Dachboden Verkleiden gespielt hat, sich umbringt. Gott , ich kriege den Anblick seines blutigen Hemds einfach nicht aus dem Kopf.«
    Ich schauderte. Ein kaltes Frösteln begann in meinem Herzen und arbeitete sich von dort aus bis in die Zehen hinunter.
    Aber es war nicht die Erinnerung an Daniel Leaps blutiges Hemd oder die klaffende Wunde in seiner Kehle, die mich schaudern ließ, sondern die an Rivers konzentrierten Gesichtsausdruck, als Jacks Vater die Rasierklinge an seinen Hals gehoben hatte.
    Das letzte Licht des Tages sickerte durchs Fenster und ein lavendelblaues Zwielicht breitete sich in der Küche aus.
    »Jack hat ein Bild mitgebracht«, sagte ich. »Ich habe es gesehen, als er es ausgepackt hat. Es ist ein Gemälde, das einen Maler zeigt und Freddie als sein Aktmodell. Er sagte, es hätte seinem Großvater gehört.«
    Lukes Brauen schossen in die Höhe.
    Ich nickte. »Genau.«
    »Die Liste der unerklärlichen Dinge wird immer länger.« Er stand auf und streckte sich. »Ich geh jetzt schlafen. Jack wacht bestimmt früh auf, und da er jetzt anscheinend bei uns wohnt, müssen wir uns um ihn kümmern.«
    Weil sich das so gehört, dass man sich um Kinder kümmert, sagte seine Miene, auch wenn unsere eigenen Eltern offenbar anderer Meinung sind.
    Kurz nachdem er aus der Küche gegangen war, hörte ich über mir im zweiten Stock seine Schritte den Flur entlanggehen. Wahrscheinlich schaute er nach Jack.
    Ich blieb in der Küche sitzen und trank meinen Eistee aus. Mittlerweile war es dunkel geworden und der Großteil des Raums lag im Schatten. Die Fenster standen sperrangelweit offen, und ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass draußen im Schutz der Dunkelheit jemand stand und mich beobachtete …
    Im nächsten Moment flog die Eingangstür auf, jemand lief durch die Halle und an der Marmortreppe vorbei, ging durchs Esszimmer, das wir nie benutzten, und blieb in der Küchentür stehen.
    Ich schwenkte klirrend die Eiswürfel im Glas und schaute auf.
    River.
    Wir sahen uns schweigend an. Mich überkam plötzlich das heftige Bedürfnis, ihn aus dem Haus zu zerren, auf dem Vorplatz in den Dreck zu stoßen und ihm so lange ins Gesicht zu treten, bis der spöttische Ausdruck in seinen Augen erloschen war.
    Vielleicht hatte River recht gehabt, als er sagte, ich könne gnadenlos sein.
    »Weißt du noch, wie wir nebeneinander auf diesem Sofa geschlafen haben, Violet?« Er setzte sich neben mich.
    »Und ob. Das ist am Montag gewesen.« Ich schielte zu dem großen Fleischermesser hinüber, das auf dem Tisch lag. Luke schnitt damit immer das Brot, obwohl ich ihm schon tausendmal gesagt hatte, dass er dafür das Brotmesser mit der Sägeklinge benutzen sollte. Ich stellte mir vor, wie das Messer schwer in meiner Hand liegen und ich es River zwischen die Rippen stoßen würde. Ich spürte dieser Vorstellung noch einen Moment lang nach und erlaubte meiner gnadenlosen Seite, sich auszuleben.
    »Am Montag? Das ist eine Ewigkeit her.«
    Ich ging nicht darauf ein. »Erzähl mir, wie du es getan hast, und versuch diesmal bitte bei der Wahrheit zu bleiben.«
    Rivers Lächeln erstarb, aber seine Miene blieb gelassen. »Ich habe ihn denken lassen, die Rasierklinge wäre ein silberner Stift. Und dann habe ich ihn dazu gebracht, sich damit eine Linie quer über seine Kehle zu malen.« Er lachte leise auf.
    In dem Moment, in dem er es zugab – es laut aussprach, wodurch es von einem starken Verdacht endgültig zur Gewissheit wurde –, krampfte sich mein Herz zusammen, als würde jemand seine spitzen Fingernägel hineinbohren.
    Er hatte mich eiskalt angelogen, als er sagte, er würde seine Gabe nicht mehr gebrauchen.
    Ich hasste ihn.
    Ein Teil von mir hasste ihn.
    Dem anderen Teil … war es mehr oder weniger gleichgültig.
    Und das jagte mir eine Heidenangst ein.
    River griff nach meiner Hand und drückte sie sich an die Brust. Ich riss mich los, aber er holte sie sich zurück … und einen Augenblick später löste meine Wut sich so schnell

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