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Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Titel: Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: April Genevieve Tucholke
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wusste.«
    »Ja, das ist meine Großmutter – Freddie. Und der Mann auf dem Bild ist John Leap, dein Großvater. Er sieht aus wie dein Vater.« Ich amtete tief durch. »Und wie meiner.«
    Wir sahen uns zwei Herzschläge lang an.
    »Ich hab noch zwei Bilder von deiner Großmutter im Ballsaal entdeckt«, sagte Jack und stellte die Leinwand wieder auf den Nachttisch zurück. »Und als ich die gesehen hab, war ich mir sicher.«
    »Zeigst du sie mir?«
    Ich folgte Jack den Flur hinunter und die Marmorstufen in den dritten Stock hinauf. Als wir an Lukes Zimmer vorbeikamen, wollte ich kurz bei ihm reinschauen, aber dann hörte ich von drinnen Sunshines Lachen und ließ es.
    Jack ging zielstrebig zur hinteren Wand des Ballsaals und zeigte auf zwei Akte von Freddie, die ein bisschen verloren zwischen den ganzen anderen, größeren Leinwänden in der Nähe des Fensters hingen.
    Als ich sie mir jetzt genauer anschaute, fiel mir zum ersten Mal auf, dass John Leaps Bilder im Gästehaus entstanden sein mussten. Ich erkannte das Sofa wieder, die Tapete – es standen sogar noch kleine Eimer mit Farbe auf dem Fensterbrett. Freddies nackter Körper leuchtete alabasterweiß.
    Jack und ich betrachteten die Bilder eine Zeit lang stumm, anschließend kehrten wir ins grüne Gästezimmer zurück, und ich zog Freddies Briefe heraus, die ich den ganzen Tag in meiner Rocktasche mit mir herumgetragen hatte, und gab sie ihm. Er las sie im Schein des Kaminfeuers.
    Als er fertig war, suchte er meinen Blick und fragte lächelnd: »Dann sind unsere Väter also … Brüder gewesen?«
    Ich nickte. »Halbbrüder, wie es aussieht.«
    »Dann kann ich bei euch wohnen bleiben? Weil wir verwandt sind?«
    »Wenn es nach Luke und mir geht … ja.«
    Er lächelte wieder. Jack war wirklich ein erstaunlicher Junge. Nach allem, was er in dieser Nacht erlebt hatte, konnte er immer noch lächeln.
    Ich setzte mich zu ihm ans Bett und las ihm aus den Chroniken von Narnia vor, bis ihm irgendwann die Augen zufielen. Trotzdem weckte ich ihn noch einmal, bevor ich ging, damit er die Tür hinter mir verriegeln konnte, und nahm ihm das Versprechen ab, niemanden – wirklich niemanden – außer Luke und mir ins Zimmer zu lassen.
    Danach ging ich erst einmal in mein eigenes Zimmer, schloss die Tür und setzte mich aufs Bett. Ich fühlte mich vollkommen leer. So leer wie Montana, wo es, wie ich gehört hatte, so leer war wie in keinem anderen Bundesstaat, außer vielleicht noch in Wyoming. Irgendwann stellte ich mich ans Fenster, das die Nacht tiefschwarz gefärbt hatte, was zu der Schwärze und Leere in mir passte.
    Auf einem Bücherstapel auf dem Boden saß ein Origami-Pinguin.
    Ich ging in die Küche hinunter.
    Neely hatte die zwei Kerzen auf dem Tisch angezündet, wodurch im Raum eine irgendwie altertümliche Atmosphäre herrschte. Er saß auf der Couch und pfiff Rachmaninow.
    »Neely, bist du Gianni und mir zu der Villa der Glenships gefolgt?«, fragte ich.
    »Ja.«
    »Warum?«
    Er antwortete nicht.
    »Irgendetwas Neues von River?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Warum hast du Gianni geschlagen?«
    »Weil mir nichts anderes übrig blieb. Uns lief die Zeit davon, und es war wichtig, dass er mir genau zuhörte.«
    »Und deswegen hast du einfach zugeschlagen? Schlägst du öfter Leute, damit sie dir zuhören?«
    Er grinste. »Nein. Normalerweise bin ich ein Schwerenöter und stelle Frauen nach …«
    Ich lachte, obwohl ich es eigentlich gar nicht wollte. Dann zeigte ich auf den Kühlschrank. »Hast du Lust auf Limonade mit Ingwer?«
    »Klar«, antwortete er.
    Während Neely mir zusah, bereitete ich noch einen Krug von Freddies Wohlfühl-Getränk zu und schenkte dann jedem von uns ein Glas ein. Er nahm einen Schluck und seufzte. »Ehrlich gesagt, hab ich ein schlechtes Gewissen, weil ich Gianni geschlagen habe. Die ganze Sache war ja nicht seine Schuld. Versteh mich nicht falsch, Violet. Ich prügele mich gern. Aber in dem Fall war es unnötig.« Er zauste sich durch die Haare und sah River dabei so ähnlich, dass ich kurz aufhörte zu atmen.
    Er ließ die Hand sinken. Seine Haare standen in alle Richtungen ab. »Es war nur … die Vorstellung, dass er einem Kind wehgetan hat, dass er dir wehgetan hat und keine Ahnung, wem sonst noch … da ist es einfach mit mir durchgegangen …« Er verstummte.
    Ich lehnte mich an den Tisch. »River tun die Dinge, die er anrichtet, nie leid.«
    »Mein Bruder ist kein schlechter Mensch.« Neely sah zu mir auf. Im Kerzenlicht wirkte sein

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