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Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Titel: Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: April Genevieve Tucholke
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beschäftigt gewesen wäre, hätte ich mich sicherlich gewundert. So aber ließ ich mich von Gianni an der Hand die Straße entlang bis in eine dunkle Gasse ziehen.
    Ich hätte jemandem Bescheid geben sollen, dass ich Gianni in das große Ungewisse folgte. Neely. Dem Mann mit dem Bart. Dem Jungen, der die Apfelschnitze verteilt hatte. Irgendjemandem. Hatte ich aber nicht. Ich vertraute ihm. Himmel, ich kannte ihn seit der sechsten Klasse.
    Also folgte ich ihm ruhig und gefasst wie eine betende Nonne, bis wir schließlich vor der Villa der Glenships stehen blieben.
    Gianni deutete auf das Haus. »Das, was ich dir unbedingt zeigen muss, ist da drin.«
    In diesem Moment bekam ich es zum ersten Mal mit der Angst zu tun. »Aber die Villa ist mit Brettern vernagelt«, sagte ich. »Wir kommen da gar nicht rein. Und ich will auch nicht. Es ist schon seit Jahren niemand mehr in dem Haus gewesen. Da drin wimmelt es bestimmt vor Ratten und Fledermäusen und Geistern und … anderen Dingen.«
    Ich war normalerweise alles andere als feige. Aber die Nacht war dunkel, und das riesige, Respekt einflößende Anwesen wirkte so bedrohlich, als laste ein Fluch auf ihm. Außerdem fiel mir jetzt auf, dass Gianni mich so merkwürdig anstarrte. Seine sonst glänzenden braunen Augen wirkten irgendwie … stumpf und leer. Er griff in seine Hosentasche und zog einen kleinen Hammer hervor.
    »Komm mit«, sagte er.
    Er ließ meine Hand keine einzige Sekunde lang los, als er mich zum Haus führte. Ich sah zwei Holzbretter auf dem Rasen liegen, die offenbar von einer der Terrassentüren entfernt worden waren. In dem Gebäude stand eine Lampe auf dem Boden, die flackerndes Licht verströmte. Gianni riss mit dem Hammer eine weitere Planke ab und warf sie zu den anderen. Die Scheibe war zerbrochen, und Gianni vergewisserte sich, dass keine scharfkantigen Scherben mehr herumlagen, bevor er mich hinter sich ins Haus zog.
    Drinnen ließ er den Hammer fallen, hob die Petroleumlampe hoch und leuchtete damit den Raum ab. Wir standen in der ehemaligen Bibliothek. Mein Blick wanderte über die sich von den Wänden schälende Tapete, einen zerschlissenen Ledersessel und die nackten, einsam wirkenden Regale, in denen nicht ein einziges Buch mehr stand. Auf einmal überkam mich das überwältigende Bedürfnis, loszulaufen und das Haus zu erkunden. Bis vor ein paar Sekunden hatte ich gar nicht hier sein wollen, aber plötzlich wünschte ich mir, ich wäre schon viel früher in die Villa eingebrochen. Ich brannte darauf, sie mit Citizen Kane zu vergleichen, in Schubladen zu wühlen und herauszufinden, welche Dinge zurückgeblieben waren. Gianni schaute mich immer noch mit diesem merkwürdigen Ausdruck an, aber verdammt – ich wollte die Schlafzimmer sehen und die Küche und den Keller, in dem damals die junge Frau umgebracht worden war. Freddie hatte mir mal erzählt, dass die Glenships im Keller einen Swimmingpool gehabt hatten und dass es im Haus sechs Geheimgänge gab und …
    »Komm, Violet.« Gianni zog an meiner Hand. »Er ist dort oben.« Er deutete mit der Lampe Richtung Decke.
    Mein Blick, der bis eben noch begierig den Raum abgesucht hatte, wanderte zu Gianni. »Wer ist oben, Gianni? Wovon redest du.«
    Er hielt meine Finger immer noch fest umklammert und hatte diesen seltsam leblosen Ausdruck in den Augen. »Na, der Hexer natürlich.«
    Komischerweise bekam ich nicht einmal in diesem Moment wirklich Angst. Ich nahm an, Gianni hätte einen Witz gemacht. Einen ziemlich makabren, geschmacklosen Witz, wenn man an die Ereignisse in Jerusalem Rock denkt, aber das musste ja nichts heißen. Ich ließ mich von ihm aus der Bibliothek in die schwarz-weiß geflieste Eingangshalle ziehen und folgte ihm eine imposante Treppe, die der in Citizen Kane ziemlich ähnlich war, bis in den dritten Stock hinauf, wo das Treppenhaus immer enger wurde, bis wir schließlich auf dem Dachboden standen.
    Mir stockte der Atem. Hier oben sah es so sehr aus wie bei uns, dass ich für einen Moment vergaß, wo ich war. Überall Spiegel, Schränke, Truhen, Spinnweben.
    Wer hatte all das zurückgelassen? Gab es noch irgendwelche Erben, die darauf Anspruch erheben konnten?
    Mir juckte es in den Fingern, mich durch die Staubschichten zu graben und auf Schatzsuche zu gehen. Ich stellte mir vor, wie ich alte Fotos finden würde, Schallplatten, vielleicht sogar einen Brief, in dem Freddie erwähnt wurde …
    Jack.
    Seine kupferroten Haare waren verdreckt und strähnig, die dünnen Arme über

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