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Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Titel: Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: April Genevieve Tucholke
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Emily ?«
    Ich nickte.
    »Ich habe viel darüber nachgedacht, dass diese Emily den Mann, den sie liebte, nicht gehen lassen konnte und darüber den Verstand verlor. Ich glaube, mein Vater ist … er ist krank.« River vergrub das Gesicht an meinem Hals und ließ seine Finger über mein Rückgrat gleiten. »Neely ist der Friedensstifter, obwohl das eigentlich zum Totlachen ist, wenn man bedenkt, wie oft er sich prügelt. Er bildet sich ein, er könnte unseren Vater dazu bringen, sich zu ändern. Oder wenigstens mich dazu bringen, damit aufzuhören. Aber mein Bruder hat keine Ahnung, womit er es zu tun hat. Außerdem schafft er es nie lange genug, sich Ärger vom Hals zu halten, um wirklich eine Hilfe zu sein.« River schüttelte den Kopf. »Neely ist meistens ein wirklich feiner Mensch. Aber er ist genau so unbeherrscht wie unser Vater.«
    »Und du«, sagte ich.
    »Und ich«, antwortete River.
    Wir saßen eng umschlungen da und schwiegen. Jeder von uns hatte gesagt, was es zu sagen gab. Irgendwann strich River mit dem Daumen über die Innenseite meines Arms. Nackte Haut auf nackter Haut. Neelys Stimme hallte durch meinen Kopf und bat mich mitzuhelfen, River dazu zu bringen, damit aufzuhören, aber ich ignorierte sie. Ich wollte sehen, was passieren würde.
    Rivers Hände glitten zu meinem Gesicht. Er hielt mich, sah mir tief in die Augen. Meine Haut prickelte, und ich spürte, wie das, was River in mir bewirkte, wieder begann. Wie das Wohlbehagen sich in mir ausbreitete und mich beruhigte.
    Irgendwo in einem weit entfernt gelegenen Winkel meines Hinterkopfs fragte ich mich, ob River seine Gabe bei mir öfter anwendete, als er es zugab. Ob er sie in Wirklichkeit jedes Mal benutzte, wenn er mich berührte.
    Er hatte mich so oft berührt.
    Vielleicht war ich sogar selbst schon süchtig danach. Wie er. Und wie sein Vater.
    Möglicherweise konnte er gar nichts dafür, sondern wollte mich wirklich nur spüren und wusste nicht, dass er dabei jedes Mal seine Gabe einsetzte. Aber das machte keinen Unterschied. Vielleicht machte es das nur noch schlimmer.
    Entschlossen legte ich die Hände auf Rivers Brust und schob ihn von mir. Er öffnete die Augen. Sein Gesicht war leicht gerötet, wie mein eigenes vermutlich auch. Ich stand vom Sofa auf, und im gleichen Moment stand auch er auf, sodass wir uns mit unseren erhitzten Gesichtern gegenüberstanden und ansahen.
    »Daniel Leap war mein Onkel«, sagte ich. »Mein Halbonkel. Und du hast ihn getötet, bevor ich herausfinden konnte, dass ich mit ihm verwandt war. In dem Kruzifix, das du von der Wand in deinem Zimmer abgehängt hast, waren Briefe versteckt, die mein Großvater geschrieben hat. Mein tatsächlicher Großvater. Nicht Lucas White, sondern ein Mann namens John Leap, der Maler gewesen ist.«
    River schüttelte den Kopf. Er sah ehrlich bestürzt aus.
    »Ich würde diese Briefe gern lesen«, sagte er, und seine Miene war so ernst wie vorher, als er mir erzählt hatte, wie sein Vater ihm mit dem Briefbeschwerer zwei Rippen gebrochen hatte. »Jetzt gleich.«
    Ich zog sie aus meiner Rocktasche und reichte sie ihm. Er las sie sich beide zweimal durch und gab sie mir anschließend zurück.
    »Es tut mir leid«, sagte er nur. »Das wusste ich nicht. Er war ein Säufer, der dich beleidigt und seinen Sohn vernachlässigt hat. Das konnte ich nicht ertragen.«
    »Ich weiß, River. Aber du musst nun einmal lernen, Ungerechtigkeiten zu ertragen, genau wie wir anderen, die wir nicht das Funkeln in uns haben. So ist das Leben. Du kannst nicht jeden bestrafen.«
    »Ich kann es versuchen.«
    »Es wäre schon ein Fortschritt, wenn du es schaffen könntest aufzuhören, Leute dazu zu bringen, sich gegenseitig abzuknallen oder sich selbst die Kehle durchzuschneiden. Das Leben ist kein Wildwestroman, River. Wir versuchen hier zivilisiert miteinander umzugehen, und du benimmst dich, als wären wir in einer Goldgräberstadt.«
    River lachte. »Ich wünschte, es wäre so.«
    Ich stimmte nicht in sein Lachen mit ein, obwohl ich verdammt noch mal genau wusste, was er meinte. Ich hatte genügend Wildwestromane von Zane Grey und Larry McMurtry gelesen und genügend Filme von Sergio Leone gesehen, um bei den Worten einsamer Revolverheld und Selbstjustiz ein aufgeregtes Kribbeln im Bauch zu spüren.
    »Hast du noch andere Briefe an Freddie gefunden?«, fragte River. »Oder sind das die einzigen? Ich …« Er zögerte, und in seine Augen trat dieser seltsame Ausdruck, den ich schon einmal an ihm gesehen

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