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Fürchtet euch

Fürchtet euch

Titel: Fürchtet euch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiley Cash
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hätten.«
    »Ihr hättet auf sie hören sollen«, sagte er.
    »Aber du warst das gar nicht«, sagte ich.
    »Was meinst du damit?«
    »Du warst das gar nicht, der da bei ihr war.«

20
    Weinend folgte ich Daddy ins Haus, weil er kein Wort gesagt hatte, nachdem ich ihm erzählt hatte, was ich gesehen hatte. Ich zitterte am ganzen Körper, weil meine Sachen vom Regen tropfnass waren. Ich sah eine leere Whis- kyflasche auf der Arbeitsplatte in der Küche stehen. Daddy öffnete eine zerknitterte, nasse Einkaufstüte und holte eine weitere Flasche hervor, schraubte den Verschluss ab und trank einen langen Schluck. Er wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und trank noch einen Schluck. Dann nahm er die leere Flasche von der Arbeitsplatte und warf sie gegen den Kühlschrank. Sie zerbrach, und der Boden lag voll mit Glasscherben. Ich schrie: »Daddy!«, aber er sah mich nicht mal an. Er nahm noch einen Schluck aus der anderen Flasche, und dann schraubte er den Verschluss wieder auf und ging den Flur runter zu seinem und Mamas Schlafzimmer. Ich hörte, wie er die Kommodenschubladen öffnete und schloss, als würde er irgendwas suchen. Er kam den Flur wieder zurück, und ich hörte die Scherben unter seinen Stiefeln knirschen wie Kies, als er durch die Küche ins Wohnzimmer ging. Er nahm die Schlüssel für den Pick-up vom Tisch.
    »Wo willst du hin?«, fragte ich.
    »Geh ins Bett«, sagte er. Er öffnete die Tür und ging raus auf die Veranda. Ich folgte ihm und fing die Fliegentür ab, bevor sie mir vor der Nase zufiel. Er war schon die Stufen runter und bei seinem Pick-up. Er stieg ein, knallte die Tür zu und ließ den Motor an.
    »Fahr nicht weg!«, schrie ich. »Bitte!« Ich rannte die Stufen runter und hinaus in den Regen und zog an der Beifahrertür, aber er hatte sie wohl von innen verriegelt, weil ich sie nicht aufbekam. Ich schlug mit den Fäusten gegen das Fenster.
    »Es tut mir leid!«, schrie ich. »Lass mich nicht allein!«
    In der Dunkelheit konnte ich ihn nur so eben in dem Pick-up sehen. Er blickte mich durchs Fenster an. Ich sah, wie er den Gang einlegte, und ich hörte die Reifen auf dem Schotter, als er zurücksetzte. Ich sah, wie er auf der Einfahrt wendete, und dann schaute ich den Rücklichtern hinterher, wie sie den Berg runter zur Straße flogen. Schon bald konnte ich sie durch die Bäume nicht mal mehr sehen, und hören konnte ich nur noch den Regen.

    Ich ging die Verandastufen hoch und zurück ins Haus. Ich machte die Tür hinter mir zu. Es war still im Haus, und ich lauschte dem Regen, der aufs Dach prasselte und in die Regenrinne und durchs Fallrohr rauschte. Ich wusste, das Wasser würde direkt in die Regentonne fließen, wenn das Rohr nicht kaputt wäre. Das Licht in der Küche brannte, und die kleinen Glassplitter von der Flasche, die mein Daddy kaputtgemacht hatte, glitzerten auf dem Fußboden. Es sah aus, als ob jemand reingekommen und eine Handvoll Eis in die Küche geworfen hätte. Ich ging so vorsichtig ich konnte drum herum. Ich trat auf ein paar Splitter, und sie knirschten unter meinen Schuhen. Ich machte das Licht in der Küche aus und ging in mein und Stumps Zimmer und schloss die Tür.
    Ich war noch nie ganz allein zu Hause gewesen, schon gar nicht abends. Ich streifte die Schuhe ab, kletterte aufs Bett und schlüpfte unter die Decke. Ich merkte, wie kalt mir war in den nassen Sachen, und ich bibberte wie verrückt. Ich zog mir die Bettdecke über den Kopf und überlegte, wohin Daddy wohl gefahren war, und fragte mich, ob er je zurückkommen würde. Und dann dachte ich daran, dass noch vor einer Woche ich und Stump und Daddy und Mama hier alle zusammen gewesen waren und jetzt alle weg waren und nur ich noch da war. Ich lag da unter der Decke und dachte, dass ich sie alle zurückholen würde, wenn ich könnte, aber dass es nach dem, was ich Daddy erzählt hatte, wohl nie wieder so wäre wie früher, selbst wenn wir wieder alle zusammen wären. Ich dachte an Stumps stille Schachtel, die ich oben aus dem Schrank geholt und unters Bett gescho- ben hatte, und ich wünschte, Mama hätte mir auch eine gemacht.

    Ich machte die Augen auf, als ich ein Geräusch hörte, als würde Daddys Pick-up die Einfahrt hochkommen. Ich dreh- te mich auf den Rücken und starrte an die Zimmerdecke und lauschte angestrengt, bis ich mir sicher war, dass er es war. Meine Sachen waren noch immer nicht ganz trocken, aber ich fror nicht mehr, und ich strampelte die Decke von mir runter und zog Hemd und

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