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Fürchtet euch

Fürchtet euch

Titel: Fürchtet euch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiley Cash
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Sie einfach her, so schnell Sie können. Jess braucht Sie hier.« Ich konnte hören, dass er sich am anderen Ende der Leitung bewegte, und ich meinte, ihn stolpern zu hören. Dann ein Geräusch, als wäre etwas zu Boden gefallen. Er knurrte leise irgendwas vor sich hin.
    »Jimmy«, flüsterte ich. »Sind Sie in der Lage zu fahren? Ich meine, haben Sie getrunken?« Es wurde still in der Leitung, und ich konnte merken, dass er sich nicht mehr bewegte. Ich konnte ihn so gerade eben atmen hören.
    »Die Frage will ich überhört haben«, sagte er. Er legte auf. Ich hielt den Hörer ans Ohr, bis der Wählton kam, und dann drehte ich mich zum Telefon um und legte den Hörer auf die Gabel. Mir kam der Gedanke, dass ich soeben einen Anruf getätigt hatte, den Jimmy Hall vor all den Jahren umgekehrt nicht getätigt hatte – er war gar nicht auf die Idee gekommen, aber deshalb fühlte ich mich kein bisschen besser, und einen Moment lang dachte ich, dass es vielleicht damals genau das Richtige von ihm gewesen war, einfach abzuhauen. Ich ging zurück ins Wohnzimmer und sah, dass Jess die Augen geöffnet hatte und mich anstarrte.
    »Hast du meinen Grandpa angerufen?«
    »Ja«, sagte ich. »Er kommt gleich.« Ich sah mich im Zimmer um und überlegte, ob ich stehen bleiben und warten oder mich zu Jess setzen sollte. Oder ob ich wieder nach draußen gehen und einen von den Sanitätern bitten sollte, ins Haus zu gehen und sich zu ihm zu setzen, sobald die Krankenwagen da waren. Jess hatte sich zurückgelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. Er schloss die Augen, und dann öffnete er sie langsam wieder. Sie waren voller Tränen.
    »Hast du meinen Grandpa angerufen, weil mein Daddy stirbt?« Ich schüttelte den Kopf und ging zu ihm.
    Ich musste daran denken, dass ich nur wenige Minuten zuvor in die leeren Läufe der Schrotflinte geblickt hatte, und obwohl auch meine Hände leer waren, spürte ich noch den Griff meiner Pistole und den Rückschlag, als ich abdrückte. Im Kopf hörte ich mich sagen,
Ich wünschte, ich hätte alles anders machen können, Jeff
, aber als ich mich vor ihm auf den Boden kniete, hatte ich mich wieder gefangen. »Jess«, sagte ich laut. »Jess.«

    Die Krankenwagen hatten die Sirenen abgestellt, sobald sie auf den Hof gebogen waren, und wenn jemand nicht gewusst hätte, was an dem Morgen alles auf der Einfahrt passiert war, hätte er mich und Jess bloß für zwei Fremde gehalten, die zusammen auf dem Sofa saßen und darauf warteten, dass irgendwas passierte. Ich hatte ihm aus der Küche ein Glas Wasser geholt und vor ihm auf den Couchtisch gestellt und dann noch etwas Toilettenpapier aus dem Bad dazugelegt, aber er hatte beides nicht angerührt. Wir hatten kaum ein Wort gesprochen, seit ich mich zu ihm gesetzt hatte.
    Es war so still, dass man fast die Stimmen der Sanitäter vor dem Haus unterscheiden konnte, und ab und zu hörte ich Robby irgendwas sagen, aber ich konnte nicht richtig verstehen, was. Dann nahm ich das Geräusch von einem anderen Wagen wahr, der von der Straße her die Einfahrt hochkam, und ich horchte auf, als er anhielt und jemand die Autotür auf- und zumachte. Ich wusste, dass es Jimmy Hall war, und ich stand vom Sofa auf und ging zu einem der Fenster mit Blick auf die Einfahrt.
    Chambliss’ Auto stand mit der Front zum Haus. Die Türen auf beiden Seiten waren offen, und ich stellte mir vor, dass die Sanitäter Chambliss’ Leiche inzwischen zugedeckt hatten. Ich sah, dass sie auch Ben auf dem Schotter links vor der Stoßstange zugedeckt hatten. Die beiden Krankenwagen standen hintereinander auf der Beifahrerseite von Chambliss’ Wagen, und ich sah, wie zwei Sanitäter Julie auf einer Trage festschnallten und sie hinten in den Krankenwagen hoben, der dem Haus am nächsten war. Robby stand bei ihr, und ich konnte sehen, dass er mit ihr sprach, aber ich fragte mich, ob sie überhaupt etwas hören konnte.
    Jimmy Hall hatte seinen Pick-up wohl irgendwo hinter den Krankenwagen unten an der Einfahrt abgestellt. Ich sah, wie er über den Hof an ihnen vorbeiging. Er trug keinen Hut, und sein graues Haar war noch vom Schlaf zerwühlt. Er blieb kurz stehen und sah zu, wie Julie in den Krankenwagen geschoben wurde, dann drehte er sich um und starrte auf Chambliss’ Auto: die zerschossene Windschutzscheibe, die blutbesudelten Sitze, die rot bespritzte Heckscheibe. Als Hall an Robby vorbeiging, drehte der sich um, als wollte er ihn aufhalten, aber dann sah er mich am Fenster stehen. Ich hob

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