Fürchtet euch
kommen und mit Ihnen reden«, sagte sie.
»Ja, natürlich, Mädchen«, sagte ich. »Komm rein.« Ich schloss die Tür, führte sie rüber zum Sofa und setzte mich neben sie. Genau das hatten wir erst am Abend zuvor gemacht, und mich durchlief fast ein Frösteln bei dem Gedanken, dass wir das alles noch einmal gemeinsam durchleben würden. »Kann ich dir irgendwas anbieten?«, fragte ich. »Ich habe noch einen Rest Kaffee auf dem Herd, oder ich könnte Teewasser aufsetzen.«
»Nein«, sagte sie. »Vielen Dank. Ich musste bloß raus aus diesem Haus.«
»Julie, du kannst so lange bei mir bleiben, wie du möchtest«, sagte ich. Ich legte meine Hände auf ihre, und sofort fing sie an zu weinen. Sie legte sich die Hände auf die Augen, aber es nützte nichts. »Du kannst auch gern Jess mitbringen. Er möchte vielleicht lieber bei seiner Mama sein.«
»Ich kann nicht«, sagte sie. »Ben will ihn mir nicht mitgeben. Wir haben schon darüber gesprochen. Er lässt mich nicht mit ihm allein, er schaut mich nicht mal mehr an.«
»Er muss die Sache erst mal verkraften«, sagte ich. »Genau wie du. Jeder geht mit so was anders um.«
»Aber er hat gleich angefangen zu trinken, als wir gestern Nacht vom Krankenhaus zurückkamen. Und heute Morgen, nachdem sein Daddy Jess zur Schule gebracht hatte, sind die beiden zu seinem Daddy nach Hause gefahren und den ganzen Tag da geblieben. Ich wollte Jess von der Schule abholen, aber Ben hat mir den Pick-up nicht gegeben, und ich hab Angst, dass noch was passiert, wenn er betrunken Auto fährt. Ich hab versucht, mit ihm zu reden, aber er hat bloß gesagt, es wäre alles meine Schuld.«
»Ihr habt beide gestern Abend euren Sohn verloren, Julie«, sagte ich. »Ihr habt beide euren kleinen Jungen verloren, und nichts und niemand kann einen auf so etwas vorbereiten. Menschen sagen alles Mögliche, wenn sie trauern, besonders Männer. Das ist etwas, worauf man nicht vorbereitet sein kann.«
»Es ist nicht nur das«, sagte sie. »Ich hab Angst vor ihm. Ich hab ihn noch nie so erlebt, nicht in all den Jahren, die wir zusammen sind. Er führt sich auf wie sein Daddy früher, dabei hab ich gehofft, dass er nie so werden würde.«
»Na na, du weißt, das ist nicht wahr«, sagte ich. »Du weißt, dass er besser ist als sein Daddy.«
»Das hab ich gehofft«, sagte sie. »Aber er gibt mir die Schuld an dem, was passiert ist, sagt, es wäre meine Idee gewesen, die Heilung müsste meine Idee gewesen sein.«
»Julie, du hast getan, was du für das Beste gehalten hast«, sagte ich. »Und du weißt, es ist nicht richtig von Ben, dir Vorwürfe zu machen, weil du versucht hast, Christopher zu helfen.«
»Aber es war nicht meine Idee«, sagte sie. »Es war wirklich nicht meine Idee, das zu machen.«
»Na, wer um alles in der Welt hat denn gesagt, es müsste gemacht werden?«
»Der Pastor«, sagte sie. »Es war seine Idee. Er hat gesagt, es würde irgendwas in Christopher stecken, das ihn am Sprechen hindert, und er hat mir versprochen, dieses Etwas dazu zu bringen, ihn in Ruhe zu lassen. Er hat gesagt, ich sollte ihm vertrauen und ich sollte Ben nichts davon erzählen, jedenfalls nicht, bevor nicht alles erledigt wäre. Er hat gesagt, letzten Endes würde Ben Gottes Wahrheit verste- hen und alle würden sehen, dass Gott Christopher geheilt hatte.« Sie ließ die Hände auf den Schoß sinken und saß dann da und starrte auf sie runter. »Aber ich hätte nicht zulassen dürfen, dass sie es gestern Abend noch mal gemacht haben«, sagte sie. »Nicht nach dem, was gestern Morgen passiert war.« Sie hob den Blick und sah mich an. »Aber Miss Lyle«, sagte sie, »ich schwöre, ich hab ihn sprechen hören. Ich schwöre, er hat nach mir gerufen, als alle ihm die Hände aufgelegt haben. Ich weiß, er hatte Angst, aber es hat gewirkt. Der Herr hatte angefangen, ihn zu heilen. Ganz bestimmt. Und der Pastor wollte, dass ich ihn gestern Abend noch mal mitbringe, damit er die Heilung beenden konnte. Aber ich hatte Angst nach dem, was passiert war, und ich wollte was sagen. Ich wollte es beenden, aber ich wusste einfach nicht, wie.«
»Du vertraust ihm wirklich, nicht wahr?«, fragte ich.
»Wem?«
»Chambliss.«
»Ja«, sagte sie. »Das tue ich. Ich vertraue ihm wirklich. Ich weiß, dass er ein Mann Gottes ist. Ich weiß, dass Gott durch ihn spricht.«
»Julie, wie ich schon gesagt habe, du kannst so lange bleiben, wie du möchtest. Aber der Mann kommt mir nicht ins Haus, und ich bitte dich, dich von ihm
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