Fuerstin der Bettler
Balken an der Decke brannten, und die herabfallenden Funken hatten den Boden ebenfalls entzündet. Die auflodernde Leinwand hatte den hinteren Teil mit dem Leichnam der Kleinen bereits in eine Gluthölle verwandelt. Einen Augenblick lang fühlte sich Hannah zurückversetzt in die Brandnacht ihres Hauses: Sie hörte wieder Schreie. Sie spürte wieder die Hitze der Flammen auf ihrer Haut und den erstickenden Geruch des Rauchs in den Lungen. Flammenzungen loderten auf. In ihrem Kopf hörte sie das Krachen splitternder Balken, die alles mit sich in die Tiefe rissen. Sie begruben Jakob unter sich, der hilflos die Arme nach ihr ausstreckte, und dann sah sie, wie der Weißgesichtige Gera aus der Flammenhölle trug und dem ... dem Roten ... in den Sack stopfte. Natürlich! Sie hatte Gera gesehen ... In dem Sack, den der Rote weggetragen hatte. Sie stand da wie erstarrt, wimmerte, wollte nicht mehr sehen und hören, wollte keinen Schritt mehr gehen. Doch die Hölle blies ihr die Hitze ins Gesicht. Das Fauchen der Flammen betäubte sie. Die Umgebung verschwamm ihr vor den Augen, verwandelte sich in ein zuckendes rotes Inferno.
Erst das Stöhnen einer Frau holte sie zurück in die Wirklichkeit. Sie brauchte einen Augenblick, um sich zurechtzufinden. Sie war nicht mehr in der Apotheke, sondern im Fledermausturm. Die Hitze fühlte sich auf ihrer abheilenden Haut noch heißer an. Sie hatte in der Apotheke versagt, hatte Gera nicht retten können. Sie wollte nicht wieder versagen. Der aufflammende Schmerz trieb sie vorwärts. Sie wollte dieses Mädchen retten.
Mit verzweifelter Kraft hatte Magdalena sich kriechend und sich vorwärtsschiebend vom Fenster aus in Richtung Treppe bewegt, doch offenbar hatten die Kräfte sie verlassen. Sie lag da, schrie und schluchzte und zerrte an ihren Fesseln, doch sie konnte sich nicht befreien.
Hannah stürzte zu dem Mädchen hin. Dabei zog sie das Messer. Die Augen der Kleinen hatten sie erfasst und weiteten sich, als sie den Dolch in Hannahs Hand erblickte. Magdalena zuckte zurück, doch Hannah herrschte sie nur an, sie solle sich auf den Bauch legen. Mit zwei raschen Schnitten hatte sie die Steinkugel gelöst und dann die Fußfesseln durchgeschnitten.
Über ihnen begannen sich Balken knirschend zu bewegen. Das Gewicht des Daches drückte auf das vom Feuer geschwächte Holz. Ein Funkenregen ging auf die beiden Frauennieder. Hannah riss Magdalena hoch und stieß sie vor sich her zur Treppe. Kaum hatten sie diese betreten, gab die Decke über ihnen unter lautem Getöse nach. Hannah stürzte mehr, als dass sie lief, nach unten.
Sie sah, wie Josefa noch immer am Brunnenschacht stand und erschrocken nach oben blickte. Die Zwischendecke war nur ein einfacher Bretterboden, der einem niederbrechenden Dach niemals würde standhalten können. Hannah stolperte, Magdalena weiter vor sich her schiebend, auf die Bettlerin zu.
»Schnell!«, rief diese in das apokalyptische Getöse des orgelnden Feuers hinein. Sie packte Magdalena und warf sie regelrecht in den Schacht. Dann sprang sie hinterher, und Hannah folgte ihr. Über ihnen schlug der Schachtdeckel zu. Hannah traf bei ihrem Sprung Josefa an der Schulter und drückte sie unter Wasser. Prustend kam diese wieder hoch.
»Los jetzt, weg hier!«, schrie sie, dann tauchte sie unter und Hannah tat es ihr gleich. Sie drückten Magdalena unter Wasser und schoben sie vor sich her.
Der Brunnenzufluss führte sie hinaus auf den Stadtbach. Sie spürte an der stärker werdenden Strömung, dass sie diesen erreicht hatten. Sofort wurde sie mitgerissen. Hannah erwischte noch den Rock von Josefa, dann wurde sie mitgerissen und fortgespült.
Unter Wasser öffnete sie die Augen und sah über sich eine unwirkliche Fackel gegen den schwarzen Himmel, die wie ein lodernder Finger mahnend zum Firmament zeigte.
Ich werde dir das Handwerk legen, dachte Hannah bei diesem Anblick. Ich werde dir das Brennen und Vergewaltigen austreiben, Hartmut Aigen.
Sie musste endlich wieder Luft holen und stieß sich über Wasser und sog prustend die kalte Nachtluft in ihre Lungen. Hannah hatte noch immer die Hand in Josefas Rock gekrallt. Sie spürte,dass diese nicht mit ihr hochkam. Mit aller Kraft stemmte sie sich gegen die schnelle Strömung des Stadtbachs und zog Josefa an die Oberfläche. Sie hob deren Kopf über Wasser und schlug ihr zwei-, dreimal ins Gesicht. Plötzlich prustete Josefa, spuckte Wasser und begann zu strampeln.
»Ruhig«, beschwor Hannah sie. »Ich habe
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