Fuerstin der Bettler
Sorgen, trauen uns aber nicht, ihn zu suchen.«
Hannah nickte und biss in den Salzfisch. Er brannte auf der Zunge, aber er schmeckte herrlich. Sie musste wieder zu Kräften kommen. So schnell wie möglich, sonst war ihre Tochter verloren, wenn es nicht ohnehin längst zu spät war. Drei Wochen waren vergangen, seit sie erfahren hatte, dass Gera womöglich noch lebte. Drei Wochen! Allein der Gedanke daran verursachte ihr ein Brennen im Bauch.
»Spätestens morgen müssen wir nach ihm suchen.« Und nach meiner Tochter, setzte sie in Gedanken dazu. »Gibt es sonst etwas?« Hannah sah Magdalena an.
Nach der Aufgabe des Fledermausturms hatten sich die Frauen im Nebenhaus der Luderin eingefunden. Dabei mussten sie leise sein. Der Hintereingang diente als heimlicher Zugang und wurde von zwei Frauen bewacht, die eine Parole verlangten. Hannah hatte sie – noch im Fieber – nach ein paar Tagen so eingeteilt, dass ein Neuankömmling die eine Wächterin direkt sehen und sie ansprechen musste, während gleichzeitig in ihrem Rücken eine zweite Wache mit einem Spieß in der Hand dastand und unliebsame Besucher sofort niederstechen konnte.
Hannah fühlte sich einigermaßen sicher, aber sie wusste, wie gefährdet ihr Versteck war. Irgendwann würde man darauf aufmerksam werden.
Sie war immer wieder aufgewacht in den letzten Wochen, hatte lichte Augenblicke gehabt, doch sie konnte sich noch nicht alles zusammenreimen.
»Magdalena, was habt ihr herausgefunden? Und was weißt du von Gera?«
Das Mädchen straffte sich, als wollte sie allein durch ihre Körperhaltung wiedergutmachen, was sie angerichtet hatte. Sieverzog den Mund und zeigte so den abgebrochenen Zahn, den Hannah ihr ausgeschlagen hatte.
»An der Stelle des Apothekenanwesens entsteht ein kleiner Palast mit Innenhof. Von außen nicht einsehbar. Wenn die Mauern einmal hochgezogen sind, wirkt das wie eine kleine Burg. Der Kellerzugang, der im hinteren Flügel liegt, führt direkt in einen abseits gelegenen großen Raum. Der ist bereits fertig ausgebaut und kann angeblich betreten werden.«
Hannah lauschte auf den Bericht und versuchte ihre eigenen Beobachtungen damit in Einklang zu bringen. Wurde das ein Lustgarten? Entstand auf dem Gelände ihres eigenen Hauses womöglich ein Rotes Haus, ein Ort der zügellosen Vergnügungen für reiche Bürger und Kleriker? Es trieb Hannah die Tränen in die Augen und sie bebte vor Zorn, wenn sie nur daran dachte. Dafür hatte ihr Mann sterben müssen, und Gera ... Ihr wurde schwindlig bei dem Gedanken, und sie musste sich am Bett festhalten ... Gera wartete womöglich irgendwo darauf, dort einem Freier zugeführt zu werden. Am liebsten hätte Hannah laut geschrien. Nach allem, was Hannah gehört hatte, blieb nur dieser eine Schluss.
Nebenbei betrachtete sie Magdalena. Die war wie verwandelt, seit sie von ihr aus dem Wasser gezogen worden war. Hannah wusste nur nicht recht, ob und inwieweit sie ihr trauen konnte. Schließlich hatte sie ein Mädchen getötet, das unter Hannahs Händen geheilt worden wäre.
»Bruder Adilbert hat auch noch etwas anderes herausgefunden«, fuhr Magdalena weiter fort. »Aigen hat eine ganze Rotte von Fuhrwerken laufen. Die kommen alle zum Stephinger Tor. Im Garten davor laden manche ihre Waren ab. Die werden umgepackt, und man bringt sie auf kleineren Fuhrwerken in die Stadt. Auch zu dem neuen Haus.«
Hannah hatte das Gefühl, als würden sie auf der Stelle treten.Sie ahnten, dass ein Rotes Haus geplant war, sie wussten, dass Waren durch den Tunnel unter der Mauer hindurchgeschleust wurden, sie wussten beinahe mit Bestimmtheit, dass auch Kinder durch den Tunnel geführt wurden, aber sie wussten nicht, wo die Kinder herkamen und wer das alles für Aigen durchführte.
Zwar schälte sich aus den Ereignissen ein immer genaueres Bild heraus, doch sie kamen mit ihren Nachforschungen keinen Schritt weiter. Es musste etwas geschehen.
Hannah lehnte sich zurück und lauschte nur noch unaufmerksam dem Bericht, den Magdalena ihr gab.
Dass Aigen offenbar durch den geheimen Gang im Lusthäuschen vor dem Tor Schmuggelware in die Stadt schaffen ließ, wussten sie bereits.
Aber was konnten Frauen schon dagegen ausrichten? Sie galten als Arbeitskräfte für die Wäsche und den Haushalt, man brauchte sie allenfalls als willige Bettgenossinnen und zur Sicherung der Nachkommenschaft. Ansonsten hatte eine Frau nichts zu sagen. Die wenigen Frauen, die sich nach dem Tod ihres Mannes als Meisterinnen durchsetzten
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