Fuerstin der Bettler
Jutesäcken.«
3
E r lebte. Jedenfalls fühlte es sich für Bruder Adilbert so an. Wenn es ein Jenseits gab und dort einen Himmel, auf den er sich als Mönch einen gewissen Anspruch erhoffte, dann würde es dort keine Schmerzen geben. So viel war sicher. Da er jedoch im Augenblick überall am Körper von ebendieser äußerst diesseitigen Empfindung gequält wurde, nahm er an, dass er noch nicht durch die Himmelpforte hindurchgeschritten war. Dafür steckte er in der Krone eines Baumes.
Wie es geschehen konnte, dass er zuvor noch einen Weg entlanggelaufen war und jetzt im Geäst eines Baumes hing, konnte er zwar nicht recht begreifen, aber Gottes Wege waren wunderbar. Für ihn war es im Augenblick wichtiger, einfach stillzuhalten.
Obwohl es in seinen Ohren brauste und knackte, obwohl sein Brustkorb sich anfühlte, als hätten Hunderte Lanzen ihn durchbohrt, lauschte er auf die Umgebung. Tatsächlich konnte er bald das Rascheln und das wütende Schnaufen eines Wesens vernehmen. Ob dies ein Mensch war, konnte er nicht entscheiden.
Beinahe hätte er sich durch einen Schrei verraten. Wie erstarrt saß er im Geäst und hoffte inständig, dass kein Ast nachgeben und er nach unten fallen oder sich durch ein Knacken verraten würde. Er hoffte, wenn er sich ganz ruhig verhielte, würde sein Widersacher aufgeben. Allerdings konnte er den Kopf kaum bewegen und so die dunkle Gestalt nicht richtig sehen, die unter dem Baum auf und ab ging. Irgendwann begann es in seinem Kopf zu rauschen vor Anspannung.
Wie lange er so verharrte, wusste er nicht mehr zu sagen. Doch irgendwann musste er sich bewegen. Seine Muskeln schmerzten mindestens ebenso sehr wie die Prellungen an den Unterarmen und Oberschenkeln, die er sich bei dem Sturz in den Baum zugezogen hatte. Sein Schädel schien platzen zu wollen, so voller Blut fühlte er sich an.
Über der Gassenflucht vor ihm erschien das erste Licht des Morgens. Langsam schälten sich die Umrisse seiner Umgebung aus der tintenen Schwärze – und mit ihnen das Wissen, was genau geschehen war.
Bruder Adilbert war über eine kleine Begrenzungsmauer hinweggerannt. Sie hatte früher einmal zur Stadtmauer gehört, war jedoch mit deren Erweiterung nach Norden abgetragen worden und bildete nur noch eine schwache Brüstung. Unterhalb der Mauer fiel das Gelände senkrecht ab. Der ehemalige Graben darunter war mit Obstbäumen bepflanzt. In einen dieser Obstbäume war er hineingesprungen und Gott sei Dank hängen geblieben, gehalten vom Astwerk und verborgen vom Laub. Da seine Gliedmaßen langsam steif wurden, weil er seit Stunden beinahe unbeweglich im Obstgeäst gesessen hatte, versuchte er bei Tagesanbruch, sich zu bewegen und kletterte mühsam aus dem Baum. Er hoffte inständig, dass das Ungeheuer verschwunden wäre – und offenbar gehörte das zu den drei Wünschen, die einem gewährt wurden, wenn man solch eine Verfolgung überlebt hatte.
Was war das nur für ein Wesen, das in der Dunkelheit offenbar sehen konnte wie niemand sonst und das das Tageslicht mied? Bruder Adilbert schauderte bei dem Gedanken, der Herrgott könnte tatsächlich den Beelzebub in die Welt geschickt haben, um sie alle zu prüfen.
Langsam rutschte er am Stamm hinab, wobei er sich die Kleidung gehörig zerriss, und humpelte davon.
Er hastete – so schnell es eben ging – sofort in die Unterstadt und zur Röttel. Die Frauen würden sich bestimmt schon Sorgen machen. So lange war er noch nie fort gewesen.
Auf dem Weg zum Haus nickten die Frauen ihm freundlich zu, und Bruder Adilbert hatte das Gefühl, als strömte halb Augsburg in seine Richtung. Schließlich sah er, wie vor ihm eine Frau nach der anderen durch die Pforte des Schuppens im Haus der Röttel verschwand.
Er beschleunigte den Schritt, klopfte an die Pforte, wurde eingelassen und wäre beinahe von der verborgenen Lanzenträgerin in seinem Rücken erstochen worden, als er an der Wache vorbeihuschen wollte.
»Da seid Ihr ja endlich, Bruder.«
»Wo ist sie? Wo ist die Röttel?«, fragte er, ohne auf die Bemerkung einzugehen.
»Sie liegt oben«, sagte die Frau nur, doch da war Bruder Adilbert auch schon an ihr vorbei, hastete durch den Garten und stürmte, mehrere Stufen auf einmal nehmend, die Treppe im Haus hinauf.
Als er den Raum betrat, fiel sein Blick gleich auf die Röttel. Sie lag mit geschlossenen Augen auf dem Rücken, die Hände an die Seite gelegt. Mehrere Frauen standen bei ihr am Bett und wuschen sie. Er erschrak. Was war geschehen? Ihr
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