Fuerstin der Bettler
nach.
»Fassen wir doch noch einmal zusammen«, ergriff Hannah wieder das Wort. »Die Aufwärterinnen sind schon im Palast und können uns nicht mehr helfen, weil wir nicht mehr an sie herankommen. Sie nützen uns erst wieder, wenn wir selbst im Palast sind. Sie kennen sich vor Ort aus.«
Bruder Adilbert schnippte mit Daumen und Zeigefinger. »Zum Lusthaus können wir nicht«, gab er zu bedenken. »Dort werden die Kinder vermutlich gefangen gehalten, aber dort werden sie uns auch erwarten.« Er hielt kurz inne, und alle blickten sich an. Ja, auch der Weißgesichtige würde sie erwarten. »Über das rückwärtige Tor des Palasts kommen die illustren Gäste. Wir sollten es also nicht benutzen.«
»Wir kommen niemals in den Palast. Er ist zu gut gesichert!«, warf die Schwarze Liss ein. »Wenn wir jemanden auf den Wehrgang schicken, kann er sie vielleicht hören.«
»Unmöglich. In den Spiegeln würde man ihn entdecken«, warf der Mönch ein. »Außer ...«
Sofort sah Hannah ihn an. »Außer ... was?«
»Außer er würde in Waffen und mit Helm patrouillieren. Oder er wäre ein Handwerker. Ein Tischler, ein Zimmerer, der den Abschnitt zu bewachen hat.« Bruder Adilbert sah in die Runde.
»Glaubt Ihr, Bruder Adilbert, dass Aigen an diesem Abend nicht Männer postiert hat, die ihm ergeben sind?«
Bruder Adilbert presste die Lippen aufeinander und schwieg. Wieder senkte sich Stille über die Gruppe. Nur das Rauschen des Wolkenbruchs draußen bildete ein dickes Tuch aus Geräuschen, das alle Gedanken dämpfte. Es wurde so dunkel, dass man die Gesichter der einzelnen Personen fast nicht mehr erkennen konnte.
»Wir müssten schon Stadtsoldaten haben, um eindringen zu können«, sagte eine der Frauen.
Sofort versetzte die Liss: »Das wäre das Todesurteil für die Kinder. Sie werden niemanden am Leben lassen, der sie verraten könnte.«
Hannah legte den Kopf in die Hände und begann zu schluchzen und schließlich hemmungslos zu weinen.
Bruder Adilbert sah verlegen zu Boden und bohrte mit der Schuhspitze im Schmutz des Dielenbodens.
Plötzlich hob er den Kopf. »Die Luderin!«, brach es aus ihm heraus. Er schlug mit der Faust in die linke Hand. Seine Augen leuchteten.
Hannah sah ebenfalls auf, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und schnäuzte sich in die Hand.
»Was meint Ihr damit, Mönch?«, fragte sie stockend.
»Lasst die Luderin holen. Sie soll doch das Haus führen. Zu einem Einweihungsfest wie diesem braucht man mehr als Aufwärterinnen und ... Kinder ...« Das letzte Wort kam ihm nurstockend über die Lippen. »Sie weiß am besten, was alles gewünscht war.«
»Sie wird nicht mit uns reden«, warf die Schwarze Liss ein.
»Die Luderin wird mit uns reden«, murmelte Hannah.
»Aber sie ist unzuverlässig. Wenn Aigen gehört hat, dass sie verschwunden ist ...«
»Von wem denn«, zischte Hannah. »Magdalena ist weggelaufen, bevor wir die Luderin festgehalten haben. Sie kann demnach nichts weitergetragen haben. Also holt sie!«
Zwei der Frauen sprangen auf und eilten hinaus.
»Wie wollt Ihr sie zum Sprechen bringen?«, fragte der Mönch.
Hannah lächelte und zog aus den Falten ihres frischen Kleides das Messer, das sie von der Luderin bekommen hatte. »Ich schneide ihr die Finger ab«, sagte sie ungerührt.
Bruder Adilberts Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Das könnt Ihr nicht tun ...«, beschwor er sie.
Eine eisige Stille senkte sich über den Raum.
Schließlich stand er auf und wandte sich zu Hannah hin.
»Ich kann dir nicht folgen, Röttel. Auch wenn der Weißgesichtige, auch wenn Aigen mich töten will – ich kann mich nicht auf ihre unmenschlichen Niederungen hinunterbegeben. Das widerspricht meiner Natur. Ihr verzeiht also, wenn ich Euren Rachefeldzug nicht unterstütze. Da gehe ich lieber zurück in mein Kloster und warte auf den Weißgesichtigen.« Er wandte sich zur Tür. Kurz davor drehte er sich noch einmal zu ihr um. »Außerdem scheint Ihr zu vergessen, dass Gewalt immer Gewalt nach sich zieht. Ihr müsst Euch Freunde schaffen, nicht Feinde.«
Bruder Adilbert öffnete die Tür und wollte hinaustreten, als zwei Frauen die Luderin zur Tür hereinschleppten.
Sie war nur wenige Stunden in dem Kellerloch gesessen, aber in ihren Augen flackerte die Panik der Geschundenen. Ihr Kleid war schmutzig und sie roch nach der schimmligen Fäulnis, diesich im Keller über Jahrzehnte hin ausgebreitet hatte. Ihre Lippen waren rissig und das Haar schmutzig verfilzt, als hätte sie Wochen
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