Fuerstin der Bettler
daraufhin gebraut hatte, hatte offenbar zu gut gewirkt, wenn er seine wiedergewonnene Manneskraft jetzt in diesem Palast Aigens abstoßen musste.
Doch solange er keines der Kinder anrührte, war es Hannah gleichgültig.
Hannah stand auf, ohne weiter auf Gallina zu achten. In ihrem Kopf begannen sich die letzten Mosaiksteinchen ihres Plans zusammenzufügen und ein Bild zu ergeben. Darin spielte Stolzhirsch eine eigene Rolle.
Sie nahm Bruder Adilbert kurz beiseite. »Das ist Stolzhirsch. Ihn müsst Ihr nachher aufsuchen, Bruder Adilbert. Führt die Schwarze Liss in das Zimmer des Stadtpflegers. Ihr müsst ...« Mit einem Blick auf Gallina verstummte sie. Der Mönch nickte.
Plötzlich ging Hannah mit raschem Schritt auf Gallina zu, packte sie am Handgelenk und zog sie hoch. »Ich will, dass du mit mir mitgehst. Zeig mir den Weg zu Gera. Wenn du hierbleibst, werden sie uns ...«
Mit einem stummen Schrei riss Gallina sich los, und noch bevor der Mönch oder Hannah etwas tun konnten, jagte sie die Treppen hinauf, die sie eben hinuntergestiegen waren.
Schneller als Hannah ihm zugetraut hätte, sprang der Mönch hinter Gallina her. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend verschwand er rasch im Dunkel des Treppenaufgangs.
Hannah überlegte kurz, ob sie ihm folgen sollte, doch dannbesann sie sich anders. Gera! Ihre Tochter wartete auf sie. Bruder Adilbert würde Gallina schon finden, würde sie aufhalten und dann wissen, was zu tun war. Ihre Mission jedoch duldete keinen Aufschub.
Hannah zog den Dolch unter ihrem Ärmel hervor und näherte sich der Luke, die sie schwarz angähnte. Eine Leiter lehnte in der Öffnung, die Klappe stand offen. Beides war aus frischem, hellem Holz gefertigt und wie neu. Sie roch das Harz.
Hanna packte die beiden Leiterholme, dann setzte sie einen Fuß auf die erste Sprosse. Was sie jetzt tat, konnte sie nicht wieder ungeschehen machen.
Sie verschwand in dem Loch und blieb am Fuß der Leiter stehen, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte. Sie sog den Geruch des Gangs ein, der sich dort auftat. Sie roch Erde und Männerschweiß, aber auch etwas anderes, süßlicheres: Es war die Angst der Kinder.
Der Gang selbst war mit einer kleinen Kerze beleuchtet, die aber kaum Licht spendete. Sie stand in einer Nische in der Wand. Als sie wieder einigermaßen sehen konnte, ging Hannah in den Gang hinein, immer darauf bedacht, kein Geräusch zu machen. Sie hielt ihr Messer so, dass es auf den ersten Blick nicht zu sehen war. Langsam tastete sie sich vorwärts. Wenn sie ihren Sinnen trauen konnte, dann führte der Gang in Richtung des Raums, in dem sie den Weißfuchs hatte stehen sehen. Auf halber Strecke war der Gang mit Holz verkleidet, offenbar aber noch nicht ganz, denn an der Seite lagen Stapel mit Latten, die wohl noch verarbeitet werden mussten.
Der Gang führte kerzengerade unter dem Innenhof hindurch, und Hannah war froh, weil sie niemandem begegnete. Die Feuchtigkeit im Kellergang trieb ihr den Schweiß auf die Stirn, und sie spürte, wie ihr Kleid sich am Rücken und unter den Brüsten mit Schweiß vollsog.
Überraschenderweise endete der Gang an einer Holztür – jedenfalls hatte sie den Eindruck, denn die Bretter der Mauer waren recht deutlich zu erkennen. Hannah verlangsamte den Schritt. Was sollte das? Wenn Gallina gesagt hatte, sie war durch den Tunnel gekommen, dann musste es dort einen Durchgang geben. Sie überlegte, auf welcher Höhe der Räume sie sich befand, und kam zu dem Schluss, dass sie bereits wieder unter dem Gebäudeflügel sein musste. Irgendwo musste es also einen Gang nach oben geben. Vorsichtig tastete und klopfte sie die Bretter ab, doch es war nichts zu sehen oder zu hören.
Hannah bemerkte ihren Irrtum erst, als es zu spät war. Der Gang war nicht mit Brettern verschlossen und endete dort, sondern machte eine Biegung. Die Tür lag seitlich zu ihr und hatte einen kleinen Durchblick. Plötzlich klappte die Seitenwand auf und versperrte den Gang hinter ihr völlig. Zu ihrem Schrecken erkannte Hannah dasselbe Prinzip wie bei den geheimen Gängen hinter den Zimmern. Die Türen waren zugleich Hindernisse, die den Rückweg versperrten.
In der Türöffnung stand einer der Wärter.
»Wen haben wir denn da?«, wurde sie begrüßt, und der Drang, sich umzudrehen und davonzulaufen, war übermächtig in Hannah. Aber sie konnte nicht fliehen. Die Holztür versperrte ihr den Rückweg. Sie machte eine unwillkürliche Drehbewegung und verdrehte sich den Fuß – sie
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