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Fuerstin der Bettler

Fuerstin der Bettler

Titel: Fuerstin der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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zurückgehen. Dort hatte er diese Vertiefungen für Kerzen in der Wand gesehen, ihnen aber keine Bedeutung beigemessen. Aber die Vertiefungen waren nicht nur als Nischen für Kerzen gedacht. Sein Blick lief die Wand hinauf – und tatsächlich befanden sich im Trittabstand immer wieder Mulden, auch in der gegenüberliegenden Wand. Diese führten zu einer Luke direkt über ihm. Und die Luke stand jetzt offen.
    »Na warte, Maid!«, knirschte er. Das Mädchen war sicher dort hinausgeflohen. Wenn man seine Füße in die Nischen setzte, konnte man sie als Tritte verwenden, denn er Gang war hier so schmal, dass man sie benutzen konnte wie Leiterholme.
    »Ich muss das nicht machen«, redete er sich zu und setzte doch die Fußspitzen in die Mauernischen. Darauf fasste er mit den Händen nach und zog sich so im Spreizschritt nach oben, bis er seinen Kopf durch die Luke stecken konnte. »Wenn der Herr unser Gott gewollt hätte, dass ich mich wie ein Eichhörnchen verhalte, hätte er mich mit einem beweglichen Körper und einem buschigen Schwanz ausgestattet«, schimpfte er leise vor sich hin. Kaum war sein Kopf über dem Lukenrand erschienen, musste sich der Mönch auch schon unter einem Tritt wegducken.
    »Verdammt, Gallina«, zischte Bruder Adilbert. »Du brauchst mich nicht umzubringen. Wir wollen dir doch nur helfen. Du bist hier in Augsburg und vor allem in diesem Palast nicht sicher. Das musst du mir glauben.«
    »Warum sollte ich Euch glauben? Die Frau wollte mich wieder zurückbringen.«
    »Blödes Geschwätz!«, warf der Mönch ein. »Sie wollte nur wissen, wo die anderen Kinder sind. Das weißt nur du allein. Da dachte sie einfach, du hilfst ihr, so wie wir dir geholfen haben.«
    Die wütenden Fußtritte hörten schlagartig auf.
    Der Kopf des Mädchens erschien über ihm in der Öffnung.
    »Warum läufst du mir dann nach?«
    »Weil du über den Ort hier so viel mehr weißt als wir. Wir würden dieses Wissen gern verwenden.«
    Das Mädchen schaute ihn wütend an. »Ich weiß gar nichts!«
    Bruder Adilbert zuckte nur mit den Schultern. »Wir wissen noch weniger.«
    Der Mönch kletterte höher, in der Hoffnung, dass sie nicht mehr auf ihn eintreten würde. Er steckte den Kopf durch die Luke und sah sich vorsichtig um.
    »Woher weiß ich, dass ich Euch trauen kann?«, zischte Gallina ihn an. Sie saß im Schneidersitz mit verschränkten Armen direkt vor ihm und sah ihn herausfordernd an.
    »Du kannst es nicht wissen. Du musst es spüren.«
    Stöhnend und schnaufend zog sich der Mönch durch die Luke auf ein Dach.
    »Außerdem«, keuchte er, nachdem er sich auf den Rücken gerollt hatte und mit ausgebreiteten Armen erschöpft in den Himmel hinaufstarrte, »wird es bald keine Rolle mehr spielen, wem du trauen kannst, wenn du nicht leise bist. Du ziehst die Aufmerksamkeit der Wächter unten auf uns. Und denen kannst du sicher nicht trauen, denn die werden uns erst gar nicht mehr von hier herunterholen, sondern uns sofort töten und den Raben überlassen.«
    Bruder Adilbert hatte das Gefühl, als hätte er sich noch nie in seinem Leben so anstrengen müssen. Sicher würde er nie wieder auf die Beine kommen. Er betrachtete den Himmel, der sich von Osten her dunkel färbte. »Ich werde in den Innenhof hinunterspringen müssen, denn über die Mauertritte schaffe ich es nicht mehr. Warum bist du nicht in eins der Zimmer geflüchtet?«
    »Wer weiß schon, was Ihr von mir wollt«, kam die schnelle Antwort.
    »Die Röttel und ich wollen dir helfen. Dir und den anderen Kindern.«
    Bruder Adilbert stützte sich auf die Ellbogen und sah in die dunkelrote Sonne, die den Horizont im Westen in einen See von Blut tauchte. Von hier oben sah die Welt friedlich aus, und man konnte tatsächlich glauben, man könnte ihr entkommen. Dochdie Wahrheit war eine andere. Dort unten wurden Mädchen wie Gallina für das Vergnügen eines Augenblicks geopfert. Bruder Adilbert setzte sich ganz auf.
    »Was für ein Sündenpfuhl«, entfuhr es ihm. »Ein Sündenpfuhl mitten in einer Rosenblüte.«
    Sie saßen dort oben auf dem Dach des Palasts, versunken in den Anblick des Sonnenuntergangs, und hingen für einen Augenblick ihren Gedanken nach.
    »Es kann nur aufhören, wenn wir uns darum kümmern, Gallina. Wenn wir uns gegenseitig helfen. Wenn wir diesem elenden Hundesohn das Handwerk legen«, flüsterte der Mönch in das Blutrot der sinkenden Sonne hinein. »Stell dir nur vor, du könnest so etwas Wunderbares wie diese Sonne nie mehr hinter den Horizont

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