Fuerstin der Bettler
knickte um und fiel zu Boden.
»Du brauchst nicht vor mir in die Knie zu gehen, Kleine!«, knurrte der Kerl.
Hannah sah erschrocken von unten hoch – und erkannte einen der Männer, die die Säcke durch das Schilfdickicht geschleppt hatten. Groß und breitschultrig versperrte er ihr den Gang, der zu einer Treppe nach oben führte, wie sie erkennen konnte, als sie an ihm vorbeisah.
»Ich ...«, begann sie. »Ich ... man hat mich ... äh, ich meine ...er hat mich ... hat mich heruntergeschickt, um dir die ... die Zeit zu vertreiben«, stottert Hannah. Sie verbarg ihr Messer unter dem Ärmel.
»Er hat was ?« Der Kerl lachte. »Der Weißfuchs wird doch nicht eine menschliche Regung zeigen. Aber von mir aus. Wenn sich der halbe Magistrat oben vergnügt, fallen auch für die Fußabstreifer ein paar Brosamen ab.« Er lachte wieder.
Hannah fand sein Lachen nicht unangenehm. Es war dunkel und nicht unfreundlich, doch bei dem Gedanken, dass der Mann womöglich ihre Tochter in einem Sack hierher geschleppt hatte, stellten sich ihr die Nackenhaare auf.
»Dann wollen wir mal keine Zeit verlieren. Komm, mein Täubchen.«
Er griff nach Hannahs Arm und zog sie zu sich her. Auf die Gelegenheit hatte Hannah gewartet. Sie wartete, bis sie ganz dicht vor ihm stand. Sie roch seinen Atem, der nach Wein stank, und sie spürte seine harten Hände an ihrem Gesäß – und dann stach sie zu.
Die Klinge fuhr dem Kerl seitlich in den Unterbauch und wurde von Hannahs Hand mit einem Ruck schräg nach oben gezogen. Keine fünf Atemzüge später lag der Mann zusammengekrümmt und mit blasigem Blutschleim auf den Lippen am Boden, ohne auch nur ein lautes Wort von sich gegeben zu haben.
»Gott sei deiner armen Seele gnädig«, murmelte sie.
Hannah biss sich auf die Lippen und lehnte sich kurz gegen die Bretterwand, weil ihre Beine sie nicht mehr tragen wollten. Was stellte dieses Leben nur mit ihr an? Sie betrachtete ihre Hand, die das Messer geführt hatte. Obwohl sie zitterte, hatte diese Hand sie zur mehrfachen Mörderin gemacht – und sie schämte sich nicht einmal dafür. Jeden dieser Toten konnte sie vor Gott rechtfertigen. Die Rechtfertigung hieß Gera. Hannah verbiss sich die Tränen. Sie musste sich zusammennehmen. Wenn sie jetzt versagte, musste Gera sterben.
Hannah bückte sich, schloss dem Mann mit bebenden Fingern die Lider, ohne ihm in die Augen zu sehen, und wischte ihre Hand und das Messer an seinem Wams ab. Hannah spürte, wie ihr langsam übel wurde. Der Geruch des süßlichen Blutes würgte sie in der Kehle.
Dann straffte sie sich und stieg über den Leichnam hinweg. Er musste liegen blieben, wo er lag. Auch auf die Gefahr hin, dass er entdeckt wurde. Allein hätte sie ihn ohnehin nicht verstecken können.
Über ihr rumorte es. Eine Tür wurde zugeschlagen. Stiefelsohlen knallten auf die Holzdielen, ein schweres Schnaufen war zu hören. Jemand hatte den Raum über ihr betreten. Hannah betete voller Inbrunst, dass der Kerl über ihr nicht hier herunterkommen wollte. Und ihr Gebet wurde erhört – er kam nicht zu ihr herunter.
Hannah wunderte sich, warum der Weg nach oben führte. Hatte sie eine Abzweigung übersehen, die weiter nach unten und in die Keller führte? Das war unmöglich.
Langsam schlich sie die Treppe hinauf. Diesmal war da keine Leiter. Hannah rechnete jeden Augenblick mit der nächsten Begegnung. Ob diese so glimpflich ablaufen würde wie die letzte, wagte sie zu bezweifeln, schon deshalb, weil ihre rechte Hand immer noch voller Blut war.
Vorsichtig, als ginge sie auf rohen Eiern, schlich sie weiter, immer auf der Hut. Sie wagte kaum zu atmen.
Die Treppe machte eine Biegung, und Licht fiel mit einem Mal von oben herein. Langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen. Sie ging auf Zehenspitzen, und ihre Waden schmerzten bereits. Vorsichtig streckte sie den Kopf über die Bodenebene hinaus – und tatsächlich stand dort am Fenster ein weiterer Kerl.Er hatte ihr den Rücken zugewandt. Seine Aufmerksamkeit galt dem Geschehen vor dem Fenster. Sein Fuß wippte im Takt der Musik, die von der Balustrade herabfloss, und sein Schwertgehänge klirrte rhythmisch dazu.
Hannah zog den Kopf wieder zurück und hielt in der Bewegung inne. Sie würde auch diesen Mann niederstechen müssen, wenn sie zu Gera gelangen wollte. Irgendwo von diesem Raum aus musste es doch in den Keller hinuntergehen.
Plötzlich vernahm sie ein Kreischen, das ihr das Blut in den Adern stocken ließ. Es war ein irres
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