Fuerstin der Bettler
Röttel zu fürchten hat. Wir müssen sie warnen, wenn das noch möglich ist. Oder schneller handeln.«
10
H annah stieg vorsichtig die Leiter hinunter. Dort unten war es stockfinster. Nicht einmal eine Kerze brannte, und sie schalt sich töricht, dass sie nicht eine der Kerzen aus den Nischen im Verbindungsgang unter dem Innenhof mitgenommen hatte. Sie wartete am Ende der Leiter, bevor sie weiterging. Zwar kannte sie sich jetzt genau aus, aber man konnte nicht wissen, was dieser Teufel von Aigen für Tücken eingebaut hatte. Denn dass dieser Weg kein Spaziergang würde, ahnte sie.
Nur langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit, und schließlich konnte sie Einzelheiten erkennen.
Der Keller sah nicht viel anders aus als in ihrer Erinnerung: gemauerte Ziegelwände, gestampfter Lehmboden. Allerdings sah Hannah etwas, was ihr das Blut in den Adern stocken ließ: die dunklen Umrisse einer Gestalt. Sie stand da und schwankte, als wiegte sie sich in einem leichten Wind. Am liebsten hätte Hannah geschrien, aber sie musste ihren Schrecken unterdrücken. Niemand durfte wissen, dass sie hier war.
Sie packte ihr Messer fester und wagte einen Schritt auf das unbekannte Wesen zu.
Die Gestalt vor ihr hob unvermittelt den Kopf. »Wer ist da?«
Hannah wagte nicht, zu antworten.
»Bleib weg!«, flüsterte die Gestalt plötzlich. Unwillkürlich zuckte Hannah zurück. Unwillkürlich schnupperte Hannah – und sie roch eine Mischung aus Blut und Angst.
»Warum?«, wagte sie zu flüstern. Die Neugier zog sie näher zu dem Schatten hin.
Jetzt erst erkannte Hannah, dass die Gestalt vor ihr an einem Strick festgemacht war, der durch einen Haken an der Decke lief. Außerdem war der Schatten weiblich und offenbar nackt. Je näher sie kam, desto deutlicher wurde, dass sie die Frau kannte.
»Luderin?«, fragte Hannah.
»Du hattest recht, Röttel!«, stöhnte die Frau vor ihr. »Du hattest recht, aber was nützt es noch?«
Hannah sah, dass man die Luderin ausgepeitscht hatte. Rote Striemen zogen sich über die Haut, und an manchen Stellen war sie aufgeplatzt und blutete. Die Misshandlungen konnten noch nicht lange zurückliegen, denn die Wunden waren frisch, und das Blut war noch feucht.
»Womit hatte ich recht?« Hannah trat zur Luderin hin und wollte ihr die Fesseln durchschneiden.
»Lass. Bitte lass. Lass!« Die Luderin bat so eindringlich, dass Hannah mit dem Messer innehielt.
»Wenn du mich losschneidest, tötet er mich«, sagte sie schwach.
»Wer? Aigen? Der Weißfuchs?«
Das Weiße in den Augen der Luderin schimmerte im Dunkeln, als der Schreck ihr die Augen aufriss.
»Wo ist er? Hier?«
Offenbar war allein die Erwähnung des Namens zu viel für die Luderin, denn sie verdrehte die Augen und die Beine knickten ihr weg. Merkwürdigerweise blieb sie nicht hängen, sondern sank langsam ins Seil und zu Boden. Das Seil verlängerte sich. Aus dem Untergeschoss hörte sie gleichzeitig ein Schaben, kurz darauf ein Krachen, dann hörte es sich an, als wenn Metall an Metall reiben würde und auf einmal ging alles ganz schnell.
Sie hörte den Teufel kichern!
Aus der Luke vor ihr schoss er hervor, als hätte man ihn ebenerst befreit. Der Schreck fuhr ihr eisig in die Glieder. Sie wagte nicht einmal mehr zu blinzeln. Dann wurde die Luke über ihr zugeworfen und die Finsternis war urplötzlich beinahe vollständig.
Anscheinend war der Teufel vom plötzlichen Dunkel ebenso überrascht wie sie selbst. Denn er verstummte sofort, und Hannah hörte keinerlei Bewegung mehr.
Sie hielt ihr Messer starr von sich weg, die Klinge gezückt, und wich mit kleinen Schritten zur Wand zurück. Es dauerte unendlich lange, so kam es ihr vor, bis sie die feuchte Mauer in ihrem Rücken spürte. So stand sie da und lauschte in den Raum hinein.
»Luderin?«, fragte sie leise, doch die Hurenmutter antwortete ihr nicht. Vermutlich war sie immer noch bewusstlos oder wagte es nicht, etwas zu sagen.
Hannahs Gehör schien um ein Vielfaches schärfer zu werden. Sie hörte die Luderin atmen, sie hörte ihre eigenes Herz schlagen – und sie vernahm ein weiteres Geräusch: ein rasselndes Keuchen.
Der Teufel hatte sich also nicht in Luft aufgelöst, nein, er wartete darauf, sie anzufallen. Hannah schloss beide Hände um das Heft ihres Messers, damit der Satan, wenn er sie anfiele, es ihr nicht aus der Hand schlagen konnte.
»Was immer du vorhast, du Teufel, wage es ja nicht, dich zwischen mich und meine Tochter zu stellen!«, fauchte Hannah.
Die
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