Fuerstin der Bettler
verschluckt ...«
6
W o ist ein Spiegel?«
Ihre Stimme klang so, als hätte sie mit Tonscherben gegurgelt und sich dabei die Kehle aufgerissen.
»Glaubt mir, Röttel, Ihr wollt Euch nicht darin sehen.«
»Ich bin nicht die Röttel, ich bin die Hannah Meisterin.« Sie presste jede einzelne Silbe durch ihren entzündeten Hals, als müsste sie die Laute erst gebären. Ihre Stimme war nur langsam wiedergekommen.
»Die Hannah, die Ihr meint, ist tot. Ertrunken. Die neue Hannah sieht ihr in nichts mehr ähnlich.« Stephanie, die Frau des Wärters, redete leise. In ihrem Ton lag eine Bestimmtheit, die Hannah erschauern ließ. Wenn sie den vernarbten Arm ihrer Pflegerin betrachtete, glaubte sie zu ahnen, wie sie selbst aussehen musste.
Jetzt, drei Wochen nach der Brandnacht, hatte sich ihre Haut inzwischen in großen Blasen abgelöst. Die darunterliegende junge Haut war narbig und rot. Auch ihre Hände waren bis hinauf zu den Ellenbogen so rot wie in den Kochtopf geworfene Flusskrebse. Sie war fast kahl, ihre blonden Haare waren bis auf ein paar Strähnen beinahe vollständig versengt. Auf Stephanies Anraten hatte sie diese mit Nussbaumöl braun eingefärbt und das Öl auch auf Hände, Arme und im Gesicht verteilt.
Und heute kam eine weitere Veränderung hinzu. Zuerst hatte sie als Röttel noch knapp eine Woche in den Hexenlöchern verbracht, dann hatte der Wächter sie bei Nacht und Nebel zu sichnach Hause gebracht und weitere zwei Wochen versteckt. Und jetzt warfen ihre Gastleute sie auf die Straße. Der Wärter hatte ihr die Bettelmarke gebracht, die sie in der Zelle zurückgelassen hatte, und ihr eingeschärft, dass sie nicht länger als zwei Wochen in der Stadt bleiben dürfe. Dann müsse sie verschwinden. Und zu ihrem niedergebrannten Haus dürfe sie schon gar nicht. Das werde streng bewacht.
Hannah hatte in der Zeit, die sie bei dem Ehepaar verbracht hatte, Muße genug gehabt, darüber nachzudenken, was geschehen war.
»Wenn mein Mann heute zurückkommt, müsst Ihr das Haus verlassen haben«, sagte Stephanie. »Die Schwarze Liss wartet draußen auf Euch. Sie weiß Bescheid. Sie wird Euch die Bettelorte der Röttel zeigen.«
»Die Schwarze Liss?«, fragte Hannah.
»Ihr werdet sie kennenlernen.« Damit tauchte sie die Finger in das Nussbaumöl und rieb Hannahs Nacken mit der braunen Flüssigkeit ein. »Damit ihr nicht so auffallt. Bettler waschen sich nicht so oft.«
Hannah sah an sich hinunter. Die verdreckten Lumpen und Flicken der Röttel, die sie trug, widerten sie an.
»Verdient Euch ein wenig Geld – und dann verlasst die Stadt, wie Ihr es meinem Mann versprochen habt. Es ist zu Eurem und zu unserem Besten.«
Wenig später schloss sich die Tür des kleinen Häuschens in der Jakober Vorstadt hinter Hannah, und der Geruch der Armut empfing sie.
»Mein Gott, was haben sie mit dir gemacht? Dich in den Kochtopf geworfen und über dem Feuer gesotten?«
Hannah hätte die Frau gar nicht bemerkt, die da auf der anderen Seite der Gasse auf dem Boden kauerte, weil sie ebenso schmutzig wie der Boden und dadurch beinahe unsichtbar war.
»Seid Ihr die Schwarze Liss? Die Freundin der Röttel?«
»Hör zu, Weib. Leg dein feines Getue ab, wenn du hier überleben willst. Ich bin niemandes Freundin. Die Röttel und ich haben gemeinsam gebettelt. Mehr nicht.«
Die Schwarze Liss erhob sich mühsam. Sie musste sich auf einen Stock stützen. Hannah sah, dass sie stark hinkte, weil ihre Hüfte offenbar verwachsen war. Außerdem war ihr linker Arm verkrüppelt, als wäre er einmal gebrochen gewesen und schief zusammengewachsen. Sie wiegte sich beim Gehen, als müsse sie bei jedem Schritt, den sie machte, immer noch eine kleine Steigung erklimmen. Hannah vergaß beinahe ihre eigenen Schmerzen und das Ziehen auf der Haut, wo die Verbrennungen zu heilen begannen.
Zudem hatte die Schwarze Liss einen großen dunklen Fleck, ein Teufelsmal, das sich von der Wange über den Hals zog. Offenbar versuchte sie diesen Makel zu verbergen, indem sie gebückt ging, das Kinn auf die Brust gedrückt, und die Menschen nur von unten her ansah.
Hannah sah der Frau hinterher, wie sie davonhumpelte, und hätte beinahe vergessen, ihr zu folgen. Doch die Hinkende blieb kurz stehen. »Was ist jetzt? Brauchst du eine Einladung?«
Hannah schluckte ihren Ärger hinunter. Man duzte die Hausmagd, das Gesinde, und das Bettelvolk duzte sich untereinander, aber man duzte nicht die Frau des Apothekers. Und das war sie, die Frau des Apothekers, das
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