Fuerstin der Bettler
»Gera!«, und sie atmete kurz auf. Das war ein Fehler, denn der Weißfuchs hatte sie offensichtlich gehört, und jetzt wusste er, dass sie da war und wo sie sich befand.
Hannah duckte sich, machte sich so klein wie möglich. Tatsächlich klirrte dort, wo sie eben noch den Kopf gehabt hatte, etwas Metallisches gegen die Ziegelwand. Ein Messer?
Hannah konnte spüren, wie die Gestalt des Weißfuchses regelrecht auf sie zuschoss.
Doch jetzt, da sie ihre Tochter an der Stimme erkannt hatte und wusste, dass sie noch lebte, wuchsen ihr Kräfte zu, die sie selbst nicht erwartet hätte. Unwillkürlich stieß sie den Riegel nach vorn in die Dunkelheit, und tatsächlich traf sie etwas Weiches. Ein kurzes Stöhnen entwich dem Mund des Weißfuchses.
Hannah wusste, dass sie diesen Kampf nicht gewinnen konnte. Wie man munkelte, konnte der Weißfuchs im Dunkeln besser sehen als bei Tag. Sie dagegen war wie blind und musste sich auf ihr Gehör verlassen.
Das Stöhnen brach ab, und wieder herrschte diese Ruhe, die an den Nerven zerrte.
Irgendwo vor ihr wartete das Wesen, das aus einem Albtraum entsprungen zu sein schien, und wollte sie umbringen. Aber sie musste leben, sie wollte überleben.
Sie horchte in die Finsternis hinein, die plötzlich voll war von einem Teppich an Geräuschen. Verwirrt drehte Hannah den Kopf hin und her. Woher kamen die Geräusche? Welche waren gefährlich?
Bruder Adilbert stand vor dem Fenster und sah hinaus auf den Innenhof. Eine Kleinigkeit des Plans hatten sie offenbar nicht recht bedacht. Um den Platz herum standen mindestens fünf Wachen in bunter Uniform, die für die Sicherheit der Gäste sorgen sollten.
Neben jeder Wache hatte sich eine der Frauen aufgestellt. Wenn er mit dem Stadtpfleger Stolzhirsch und dem Nuntius auf den Hof treten würde, wären sie zur Stelle. Sie trugen Messerunter den Röcken und waren es gewohnt, sich zu verteidigen. Darum sorgte er sich nicht. Was ihm eher Kopfzerbrechen bereitete, war die Röttel. Sie musste auftauchen. Sie musste im rechten Moment erscheinen. Doch sie hatten seit geraumer Zeit keine Nachricht mehr von ihr erhalten – und aus dem Gang war sie auch nicht wieder aufgetaucht.
Sollte er jemanden hinter ihr her schicken? Sicherlich wären die Frauen alle dazu bereit gewesen, doch er brauchte sie hier oben.
Es war unvernünftig gewesen, die Röttel allein in den Keller gehen zu lassen und zu glauben, sie werde sich schon gegen alle Hindernisse und Gefahren behaupten.
Bruder Adilbert seufzte. Die Zeit lief ihnen davon. Über dem Palast schwebte der Glockenschlag des Doms. Noch eine Stunde, und die Tore der Stadt würden geschlossen werden. Jetzt wurden gerade die Stadtschergen, die das Haus der Luderin besucht hatten, von einer der Frauen, denen die Röttel vertraute, hierher geschickt. Bis diese eintrafen, musste er Aigen an den Pranger gestellt und den Stadtpfleger aufseiten der Röttel haben.
Bruder Adilbert drehte sich um und blickte in das Zimmer.
Der Stadtpfleger und der Nuntius saßen auf der Pritsche. Die Schwarze Liss stand vor dem Teppich und hätte jede Bewegung gespürt, wenn jemand über den Geheimgang hereingekommen wäre. Gallina stand neben Anna und der Liss.
»Stadtpfleger, Ihr solltet erfahren, dass Euch heute eine wichtige Aufgabe zukommt. Wenn Ihr nicht am Galgen enden wollt, dann kann ich Euch nur raten, genau zuzuhören und dann zu urteilen.«
Der Stadtpfleger wollte etwas sagen, doch Bruder Adilbert winkte ab.
»Später, Stolzhirsch. Ihr hört zu. Mehr braucht Ihr nicht zu tun. Dann entscheidet Ihr Euch. Ich werde rechtzeitig das Fenster öffnen, damit Ihr auch wirklich hören könnt, was gesprochen wird. Denkt nach, bevor Ihr Euch äußert.«
Danach drehte sich der Mönch zur Schwarzen Liss um und blickte sie an.
»Aber sie ist noch nicht da!«, warf diese ein.
»Die Glocken haben geläutet. Wir müssen anfangen.«
Plötzlich kreischten die Kinder auf. Irgendetwas geschah, das Hannah nicht erkennen konnte, und dann blitzte eine Idee in ihr auf.
Sie stand auf und riss das Tuch von der Laterne weg. Gerade noch rechtzeitig, wie sie feststellte, denn der Weißfuchs hatte sich wieder erholt und sie ausgemacht. Er stand keine drei Schritte von ihr entfernt, ein Messer in der ausgestreckten Hand. Mit der Linken hob sie ihm das Licht entgegen.
Noch nie hatte sie so durchscheinende Augen gesehen. Ihr war, als könnte sie durch sie hindurch bis in das Innerste dieses Menschen blicken. Und dieses Innerste war schwarz,
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