Fuerstin der Bettler
gegen die Bohlenwand gehämmert. Sie ließ sich auf die Knie nieder und barg ihren Kopf in den Händen. Die Röttel war besiegt worden. Gera war verloren. In dieser Haltung verharrte sie eine Zeit lang ohne Regung. Sie hörte sich nicht einmal selbst atmen. Sie war am Ende ihrer Suche angelangt. Wo kein Weg mehr war, da war auch kein Wille mehr, dachte sie.
Hannah spürte, wie ein Gefühl in ihr hochstieg, ein Gefühl der Leere und der Bedrückung. Sie fühlte, wie es sie zu lähmen drohte. Sie wusste, wenn sie sich jetzt hinsetzte, würde sie nicht wieder aufstehen.
»Gera!«, seufzte sie.
Als hätte der Name eine belebende Wirkung, entzündete er in ihrem Inneren eine kleine Flamme, die langsam hochzüngelte, bis sie hell und heller zu brennen begann: die Flamme des Widerstands. So konnte die Welt nicht gemacht sein. So durfte sie nicht gemacht sein. So wurde sie nur, wenn man glaubte, das Schicksal nehme alles vorweg. Aber das Schicksal nahm nichts vorweg. Sein Schicksal musste man nur selbst in die Hand nehmen. Hatte sie das nicht getan, seit sie aus ihrem Haus vertrieben worden war?
»Gera!«, flüsterte sie lauter in die Schwärze des Kellers hinein und horchte auf das Echo. Mochte man die Röttel besiegt haben,die Hannah Meisterin hatte man noch lange nicht besiegt. Denn die Hannah Meisterin hatte ein Ziel, und das hieß Gera!
Hannah würde sich nicht ihrer Verzweiflung überlassen. Sie würde sich zusammenreißen, würde kämpfen. Jetzt erst recht.
Doch vorerst blieb ihr nichts anderes übrig, als zurückzugehen. Hannah stand auf und untersuchte den zugänglichen Teil der Höhle. Überall lagen Säcke mit Sand und Kalk herum, stapelte sich Bauholz in den Ecken. Doch sie suchte etwas, mit dem sie sich wehren konnte. Hannah ging an der Leiche des Mannes vorbei und stieg hinauf in den Keller mit dem Käfig. Beim Käfig des schwarzen Teufels fand sie das, was sie suchte: den langen Riegel. Hannah zog ihn vorsichtig aus den Eisenringen. Das war es, was sie jetzt brauchte.
»Lass mir das Gitter zu!«, flüsterte sie dem Teufelswesen zu, das sie aufmerksam beobachtete, das sich aber nicht von der Stelle rührte. Hannah wog das Gewicht des Riegels kurz ab, dann machte sie sich wieder auf zu dem Raum mit dem Drachenkopf.
An dem Toten schlich sie sich vorbei, ohne in seine weit aufgerissenen Augen zu starren. Schließlich stand sie vor der Bohlentür. Sie versuchte den langen schmalen Riegel in eine der Ritzen zu klemmen und so die Tür aufzuhebeln. Doch es gelang ihr nicht. Keine der Ritzen war breit genug. Schließlich wollte sie schon mit roher Gewalt einfach nur gegen die Tür dreschen, bis eine der Eichenbohlen nachgegeben hätte, doch bevor sie ausholen und zuschlagen konnte, drang das Geräusch von Schritten an ihre Ohren. Jemand näherte sich von der anderen Seite des Ganges der Tür.
Hannah überlegte fieberhaft, was sie jetzt tun sollte. Sollte sie fliehen oder ausharren?
Wenn sie die Flucht antrat, würde man die Leiche finden und dann wüssten die Verfolger, dass jemand hier gewesen war. Wennsie hierblieb, wo konnte sie sich verstecken, ohne dass das Licht sie verraten würde?
Sicher begleitete wieder einer der Männer die Kinder. Das Mädchen hatte von zwei Männern gesprochen, von zweien und von dem Weißfuchs. Wenn sie recht hatte, dann näherte sich jetzt ... Sie schauderte bei dem Gedanken an die bleiche Haut dieses Wesens. Doch sie konnte, sie durfte nicht zurück, auch wenn die Angst sie schier auffraß.
Schließlich beschloss sie, sich neben dem Drachenkopf niederzukauern, das Licht gänzlich abzudecken und mit schlagbereitem Riegel in der Dunkelheit darauf zu warten, was vor sich gehen würde.
Sie hatte sich noch nicht ganz hingekauert, als sie ein Knarren vernahm. Die Tür schwang langsam auf.
»Los jetzt!«, hörte sie eine Stimme.
Hannah vernahm Schritte von mehreren Menschen, die in den Drachenraum hineingingen. Hannah vernahm jedoch zu ihrem Entsetzen auch, wie jemand zu schnüffeln begann wie ein Hund.
»Hierher zu mir, schnell!«, befahl die Stimme erneut, diesmal jedoch mit einem Unterton, der Hannah aufschreckte. »Schnell, habe ich gesagt!«, drängte die Stimme erneut.
Hier erteilte nicht irgendjemand Befehle – es war der Weißfuchs, den sie auf der Balustrade schon gehört hatte.
»Aber wir sehen doch nichts!«, widersprach eine Kinderstimme. »Wie soll es da schnell gehen?«
Hannahs Herz machte einen Satz. Ihr ganzer Körper, ihre Seele, ihr Innerstes riefen:
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