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Fuerstin der Bettler

Fuerstin der Bettler

Titel: Fuerstin der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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ihr nicht fremd. Mit ihren Schwestern zusammen hatten sie sich zu dritt ein Bett geteilt, bis sie geheiratet hatte.
    Als sie nebeneinanderlagen und Hannah in die Dunkelheit starrte, ging ihr die Frage durch den Kopf, die sie der Schwarzen Liss schon den ganzen Tag hatte stellen wollen.
    »Warum hilfst du mir, Liss?«
    Zur Antwort erhielt sie ein verdrießliches Knurren. »Warum musst du immer fragen?«
    »Weil ich es wissen will. Jakob, mein Mann, hat immer gesagt, wer nicht fragt, bleibt dumm. Ich will nicht dumm blieben und in einer Welt herumtapsen, die ich nicht verstehe. Ich will verstehen!«
    Lange Zeit rührte sich die Schwarze Liss neben ihr nicht, und Hannah glaubte schon, sie wäre eingeschlafen. Doch dann spürte Hannah, wie sie sich zu ihr umdrehte. Sie spürte, dass die Augen der Bettlerin auf ihr ruhten, spürte, wie diese Augen die Finsternis durchdrangen, als wären es Laternen.
    »Glaubst du vielleicht, ich bin in der Gosse geboren worden? Glaubst du, ich habe mein ganzes Leben hier auf der Straße verbracht? Als Freiwild für jeden Mann. Als Dreck, den man wie Dreck behandelt?«
    Hannah schwieg. Was sollte sie auch dazu sagen? Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie nichts über die Schwarze Liss wusste.
    »Mein Vater und ich haben in dem kleinen Lusthaus vor dem Stephinger Tor gewohnt, über dem Sparrenlech am Rande der Bleich. Wir haben gut gelebt, bis jemand auf den Gedanken kam, das Grundstück und das Haus wären für einen Botanikus unschicklich. Oder vielleicht hat ihm mein Vater auch nur zu wenig geholfen, ihm keinen Kräutertrank gebraut oder ihm den falschen gegeben, vielleicht einen Gifttrank nicht mischenwollen oder ... Ich weiß es nicht ... Ich war jedenfalls auf dem Stadtmarkt, als es passiert ist.«
    Liss’ Stimme begann zu zittern, und sie stockte. Hannah tastete mit der Hand zu ihr hinüber und berührte die Finger der Bettlerin. Sanft strich sie darüber.
    »Was ist passiert?«, flüsterte Hannah.
    Die Schwarze Liss seufzte, als würden die Erinnerungen an das Geschehen sich auf ihren Brustkorb setzen und ihr die Luft abdrücken.
    »Ich ... ich will nicht darüber reden. Nicht jetzt. Ich habe ihn nur ... ich wollte zu ihm, wollte ihm helfen ...« Wieder stockte sie, und Hannahs Finger flochten sich in die von Liss. »Wenn ich so daliege, wie jetzt, und in die Nacht starre, dann sehe ich ihn vor mir und versuche zu verstehen, was damals passiert sein könnte. Es gelingt mir nur nicht.«
    Die Schwarze Liss seufzte und schwieg. Hannah schloss die Augen. Sie wollte die Schwarze Liss nicht drängen. Sie würde ihr zur rechten Zeit alles erzählen, da war sie sich sicher. Vor ihrem inneren Auge stieg das Bild der in Flammen stehenden Apotheke auf. Wie bei einem Gemälde sah sie die rote Lohe vor sich, als die Schwarze Liss fortfuhr und sie aus ihren Gedanken riss.
    »Ich wollte zu ihm, aber ich habe ihn nicht erreicht.«
    Die Bettlerin drehte sich auf die andere Seite und rollte sich zusammen. Hannah wusste, dass sie die Geschichte der Liss in dieser Nacht nicht mehr erfahren würde. Alles an ihrer Erzählung blieb noch nebelhaft und unvollständig. Sie überlegte, ob sie die Liss zum Weitersprechen auffordern sollte. Doch die Anstrengungen des Tages wälzten sich über sie hinweg, und das nahe und warme Läuten der beiden Theophilos-Glocken im Dom begleitete sie in den Schlaf.

    Sie hatte traumlos geschlafen. Zum ersten Mal war sie nicht in einen endlosen Schlund gestürzt und hatte sich, wie ein Stein in die Tiefe fallend, nicht retten können. Zum ersten Mal seit dem Unglück war sie im Traum nicht ertrunken oder bis zu Unkenntlichkeit verbrannt. Sie fühlte sich ausgeruht und erfrischt – und nur der Gedanke, dass sie allein in dieser Welt war, dass sie Mann und Kind verloren hatte, drückte sie nieder.
    Als sie sich umdrehte, sah sie, dass die Schwarze Liss bereits aufgestanden war.
    Hannah setzte sich auf und schaute um sich. Mindestens zwanzig Frauen zählte sie; einige machten sich gerade auf, andere schliefen noch. Ein paar Frauen schienen bereits ausgeflogen zu sein.
    Bislang hatte sie nicht gewusst, dass es solche Schlafhäuser gab. Wenn man sich jedoch die Trauben von Bettlern und Tagelöhnern vor Augen führte, Männer und Frauen, die vor den Kirchenportalen herumlungerten, wenn man sich bewusst machte, wie viele Stadtarme es gab, die von der Stadt durchgefüttert wurden, dann wurde einem deutlich, dass sie nicht alle in der Gosse liegen konnten. Sie mussten irgendwo

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