Fuerstin der Bettler
sich die Dunkelheit über die Gassen senkte, wurde ihr mit einem Schlag bewusst, dass sie kein Nachtlager hatte.
In eines der Gasthäuser konnte sie nicht, da ihr die Bettelei nichts weiter eingebracht hatte als die beiden Kupfermünzen und ein weiteres Stück Brot bei den Barfüßern.
»Fledermausturm!«, sagte die Schwarze Liss. Hannah blickte bewundernd auf die Frau, die sich unermüdlich an ihrem Stock durch die Straßen schleppte.
Nach ihrem Abenteuer auf dem Wehrgang waren sie zurück in die Jakober Vorstadt gegangen, hatten sich vor die Jakobskirche gesetzt. Zwar hatten die Bettlerinnen sie zuerst schief angeschaut, weil die Schwarze Liss sie als Röttel vorgestellt hatte, doch hatte niemand gemurrt oder dagegen aufbegehrt.
»Kaum ein Bettler ist der, der er vorgibt zu sein«, hatte die Liss ihr gesagt, als sie wieder vor der Jakobskirche angelangt waren. »Deine Marke lautet auf den Namen Röttel. Wenn die Röttelstirbt, fällt die Blechmarke zurück an die Stadt. Aber die Marken werden nicht einfach wieder ausgegeben. Es kann Monate dauern, bis ein Bettler zum Stadtarmen erhoben wird. Also wird die Marke den Toten abgenommen, und man schlüpft in die Rolle der Toten. Niemand fragt danach, niemand stört sich daran. Manche Bettler werden so hundert Jahre alt!«
Die Schwarze Liss hatte gelacht über Hannahs verblüfftes Gesicht.
Danach waren sie ans Tor gegangen, hatten von den Pilgern, die gegen Abend Einlass verlangten, ein Almosen erbeten, schließlich, als sie auch dort keinen Erfolg hatten, war die Schwarze Liss mit ihr über den Pfaffenwinkel zurück zum Barfüßerkloster gehumpelt, um sich dort für eine Suppe und einen Kanten Brot anzustellen.
Jetzt hinkten sie beide zurück zur alten Stadtmauer unter den Hennastäpfala.
Hannah kannte den alten Fledermausturm. Er hatte einer stadtbekannten Hexe und Kupplerin als Unterschlupf gedient, bis die sich selbst in einem Feuer verbrannt hatte und vom Teufel geholt worden war. Bei diesem Ereignis war der Turm halb abgebrannt und seither nicht wieder aufgebaut worden.
Hannah hörte das Rauschen des Stadtbachs, der unterhalb der Turmruine vorüberfloss. Dann bog die Schwarze Liss nach rechts ab und klopfte gegen ein massives Tor. Nur kurze Zeit später öffnete sich der Einlass einen Spaltbreit.
»Die Schwarze Liss und ...«, hörte Hannah eine Männerstimme sagen.
»Die Röttel!«, antwortete die Liss.
»Die Röttel? Ich dachte, sie wär’ tot.«
»Sie lebt, wie du siehst«, entgegnete die Schwarze Liss und drängte sich durch den Spalt. »Sie hat in den Hexenlöchern gesessen.«
Der Kerl hinter der Tür brummte, ließ Hannah jedoch ein.
Dahinter empfing sie ein nur schwach beleuchteter Innenraum. In der Mitte des Turms flackerte ein kleines Feuer, das den Raum schwach erhellte. Hitze und Rauch wurden von einer Esse aufgenommen. Eine steinerne Treppe, die sich an der Mauer hinaufwand, führte in ein weiteres Stockwerk. Überall saßen und lagen Frauen. Manche hatten sich in zerlumpte Decken gehüllt und schliefen, andere hockten um das Feuer herum und redeten, andere lehnten teilnahmslos an der Mauer des Turms und starrten mit glasigen Augen zur Decke.
»Es ist eine Zuflucht«, flüsterte die Schwarze Liss und machte ein Zeichen, dass Hannah ihr folgen sollte. Sie humpelte zur Treppe und zog sich hoch in das nächste Stockwerk. Im ersten Stock glommen nur zwei Kienspäne und verbreiteten kaum Licht, sondern hielten nur die Dunkelheit ein wenig fern.
»Dort«, sagte die Bettlerin und deutete auf eine hölzerne Pritsche, die breit genug war für zwei Leute. Eine Frau lag darauf und schnarchte leise.
Die Schwarze Liss trat zu ihr hin, setzte den Stock an und schob die Frau einfach von der Pritsche. Mit einem Aufschrei fiel die Schläferin auf den Boden.
»Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du hier nichts verloren hast, Bet?«, knurrte die Schwarze Liss, als die Frau sich schimpfend aufsetzte und ihren Platz verteidigen wollte. »Außerdem ist die Röttel zurück. Sie braucht Ruhe.«
Murrend rollte sich die Frau neben der Pritsche zusammen, zog sich ihre Decke über die Schultern und schlief sofort wieder ein.
»Leg dich auch hin und schlaf«, sagte die Schwarze Liss. »Montag, Mittwoch und Freitag und am Sonntag dürfen wir hier schlafen. Das kostet einen Heller im Monat. An den Tagen dazwischen schlüpfen wir woanders unter.« Die SchwarzeLiss legte sich auf die Pritsche. Hannah zögerte nicht lange. Zu mehreren in einem Bett zu liegen war
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