Fuerstin der Bettler
verschwand. Hannah blickte ihm verstohlen nach, bis der bunte Vogel im Dunkel des Kircheninneren verschwunden war.
Jemand zupfte Hannah am Rock.
»Komm, wir verschwinden«, flüsterte die Schwarze Liss und erhob sich.
Hannah ließ sich das nicht zweimal sagen. Entschlossen drängten sie sich aus der wild umherwogenden Menge von Männern und Frauen.
»Sie tun den Leuten Gewalt an und haben sie in der Gewalt«, sagte die Schwarze Liss, als sie sich zum Katharinenkloster hinüber zurückzogen. »Mit welcher Verachtung Aigen sie belohnt hat.«
»Ich habe Hunger«, jammerte Hannah. Ihr Bauch krampfte sich zusammen, als hätte sie ihren monatlichen Blutfluss. »Ich muss etwas essen.«
Die Schwarze Liss lehnte sich mit dem Rücken gegen die Klostermauer und Hannah stellte sich neben sie. »Schau«, sagte Hannah und öffnete ihre Faust. Ein gutes Dutzend Kupfermünzen hatte sie erwischt.
Die Bettlerin nickte mit verkniffenem Mund und öffnete ebenfalls die Faust. Auch in ihrer Hand lagen acht Münzen wie kleine dunkle Kiesel.
»Du hast recht. Wir sollten etwas zu essen kaufen. Dann denkt es sich leichter.« Sie nahm fünf der Münzen und schob sie in den Saum ihres Rocks. Die drei verbliebenen Geldstücke steckte sie in einen Beutel, den sie zwischen ihren Brüsten hervorzog.
»Warum tust du nicht alles in den Beutel?«, fragte Hannah.
»Also, deine Fragerei bringt mich noch mal ins Grab. Tu’s mir einfach nach. Du wirst noch früh genug erfahren, wofür es gut ist. Die Röttel hatte ein ebensolches Versteck.« Sie deutete auf Hannahs Rock.
Hannah entdeckte am Saum ihres Rocks eine ähnliche Öffnung. Sie nahm acht Heller und steckte sie in den Saum. Den Rest behielt sie in der Hand. Einen Beutel besaß sie nicht.
»Brot?«, fragte die Schwarze Liss und grinste sie an.
»Brot!«, antwortete Hannah. »Ich sterbe vor Hunger.«
»So schnell stirbt man nicht, Kindchen.«
Sie machten einen Bogen um Sankt Moritz und ließen sich vom Duft der Bäckerstände auf dem Brotmarkt anlocken. Wie ein Schwarm Mücken umschwirrten die Menschen die Stände. Hannah wollte auf den erstbesten Stand zulaufen und dem Bäcker für eine ihrer Münzen etwas abkaufen, doch die Schwarze Liss hielt sie mit harter Hand zurück.
»Wir werden nicht jeden Tag so viel Glück haben. Also teil dir den Verdienst ein. Er muss womöglich für einen Monat reichen.« Sie schlichen um die Karren mit den Backwaren herum, atmeten den Duft des frischen Brots ein und rochen sich fürs Erste satt.
Hannah konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, so sehr packte sie der Hunger in den Eingeweiden. Doch erst als sie mindestens zweimal um alle Karren herumgestrichen waren, musterte die Schwarze Liss die Bäcker selbst. Dann deutete sie mit dem Kinn in Richtung eines jungen Gesellen, der unruhig auf und ab lief. Er war beinahe alle seine Brote losgeworden. Nur ein etwas verschobener Laib lag noch auf dem Karren.
»Schau ihn dir an. Entweder will er so rasch wie möglich zurück in die Backstube, oder aber mit dem Brot stimmt etwas nicht.« Die Schwarze Liss lächelte boshaft. »Es ist vermutlich zu leicht und auch etwas missraten. Aber sein Meister würde ihn verprügeln, wenn er es nicht losbrächte. Also nehmen wir es ihm ab, für günstiges Geld. Bevor die Marktaufsicht ihn stellt, die dort drüben anrückt.«
Noch bevor sie an den Karren herangetreten waren, blaffte der Geselle sie an: »He, verschwindet!«
»Ist er nicht ein netter Junge, Röttel?«, sagte die Schwarze Liss zu Hannah.
»Er wird uns sicher etwas zu essen geben.« Hannah ging auf das Spiel der Stadtarmen ein, ohne recht zu wissen, worauf die hinauswollte.
»Haut ab! Ihr vertreibt mir die Kunden!«, schimpfte der junge Kerl erneut. Hannah sah, wie sein Blick immer unruhiger zur Marktaufsicht hinüberging, wie er von einem Fuß auf den anderen trat.
Der Stadtbedienstete wurde begleitet von einem Schreiber, der eine Handwaage in der Hand hielt. Er deutete auf verschiedene Brotlaibe und Semmeln, ließ sich diese geben und prüfte anhand der Waage, ob sie dem vorgeschriebenen Gewicht entsprachen.
Der Geselle wollte soeben zusammenpacken, als die Röttel sich halb auf die Karrendeichsel setzte.
»Wohin so eilig, mein Freund?«
»Steht auf. Ihr macht mir nur Schwierigkeiten«, fauchte der Junge. »Ich rufe sonst den Büttel.«
»Ach ja?« Die Schwarze Liss lachte belustigt. »Ruf ihn ruhig. Er wird sich sicher für das Brot hier interessieren.«
Dabei hob sie den Arm und winkte die
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