Fuerstin der Bettler
Marktaufsicht heran. Der Schreiber schien sie tatsächlich gesehen zu haben, denn er nickte ihr zu, musste jedoch noch ein Rosinenbrot abwiegen und das Gewicht notieren.
»Seid Ihr verrückt?«, beschwor der Geselle sie, schon nicht mehr ganz so forsch.
»Nein, aber hungrig«, nahm Hannah die Frage auf. »Und interessiert an diesem Brot.«
»Ich ... kann es nicht verschenken«, murmelte der Junge.
»Wir wollen es nicht geschenkt«, sagte die Schwarze Liss langsam. »Wir wollen nur, dass es gewogen wird.«
»Verfl...«, stieß der Geselle hervor.
Hannah konnte nicht erkennen, ob der Geselle den Satz der Bettlerin gemeint hatte oder den Umstand, dass die Marktaufsicht direkt auf sie zukam.
»Ihr habt gewonnen«, sagte der Geselle plötzlich. »Ich schenke euch das Brot. Aber nur unter der Bedingung, dass ihr sofort davon esst. Sofort. Nehmt schon. Beißt ab.«
Hannah ließ sich nicht zweimal dazu auffordern. Das Brot zu packen, es auseinanderzureißen und einen Bissen davon in den Mund zu schieben, war eine einzige fließende Bewegung. Ohne sich weiter um den Gesellen oder die Marktaufsicht zu kümmern, liefen die beiden Frauen davon. Noch nie hatte Hannah ein Stück Brot so köstlich gefunden.
8
B ruder Adilbert setzte den letzten Punkt unter das Dokument. Es war leicht zu erstellen gewesen. Die Kanzleischrift der Stadt kannte er im Schlaf. Schließlich hatte er im Auftrag des Abtes Heinrich mehrere Schenkungsurkunden aus der Zeit der Klostergründung kopiert und ergänzt.
Er überflog den Text noch einmal, obwohl er wusste, dass er sorgfältig und fehlerlos arbeitete.
Auf dem Pergament waren in sauberen Buchstaben und Zahlen die Grundstücksgröße und die Art des Grundstücks im Pfaffenwinkel notiert. Auch ein Haus mit Hinterhaus wurde erwähnt, in dessen Untergeschoss es eine Werkstatt gab. Ein gewisser Felix Meier verpachtete das Grundstück im Namen seines Herrn, dessen Name jedoch nicht eingetragen werden sollte. Das würde vor Ort erfolgen, wenn die Zeugen zugegen waren. Nichts Ungewöhnliches oder Merkwürdiges enthielt die Schrift also. Fast glaubte er schon, dass es sich tatsächlich nur um die Wiederherstellung einer verloren gegangenen Urkunde handelte. Solche Missgeschicke kamen vor, und die Ursachen waren vielfältiger Natur: Ratten, Wasser, Feuer oder eben schlicht das Alter. Wenn das Pergament nur von minderer Güte war, dann konnte es durchaus vorkommen, dass die Kalkschicht zu dick aufgetragen worden war. Dann bröckelte sie ab, und damit verschwand auch die Schrift unwiederbringlich. In solch einem Fall musste man die Urkunde erneuern.
Auch die Zeugenreihe war beeindruckend. Nicht nur der hiesige Abt Heinrich, auch ein Dompropst und sogar der Stadtpfleger selbst waren aufgeführt. Solche Männer unterschrieben eine Urkunde nicht einfach so. Der Besitz des Grundstücks samt Haus hatte offenbar seine Richtigkeit.
Einigermaßen beruhigt faltete er das Dokument und legte es in die Schublade unter seinem Pult. Dann beugte er sich über seine eigentliche Arbeit.
Doch er konnte sich nicht darauf konzentrieren. Immer, wenn er das Dokument in der Hand hielt, musste er an den unheimlichen Besuch des Fremden denken. Es beunruhigte ihn, dass er nicht wusste, wohin der Unbekannte verschwunden war. Dabei hatte er nicht viel Zeit verstreichen lassen, bis er ihm hinterhergelaufen war. Er hätte ihn auf alle Fälle noch sehen müssen. Wenn der andere sich nicht in Luft aufgelöst hatte, dann musste er einen Weg genommen haben, der ihm, Adilbert, unbekannt war. Und das erschien dem Mönch kaum möglich. Er hatte sein Leben in diesen Mauern verbracht und kannte sie wie die Falten und Taschen seiner eigenen Kutte. Wenn der Unbekannte nicht der Teufel gewesen war, dann musste er einen Gang kennen, von dem viele im Konvent – ihn eingeschlossen – nichts wussten.
Tagelang hatte Bruder Adilbert die Wände abgeklopft, hinter Bilder gesehen, doch nirgends war er auf einen Hinweis gestoßen, dass man vom Gang zum Scriptorium aus nach draußen gelangen konnte.
Er wandte sich wieder der Kopierarbeit an der »Vita Simperti« zu, in der vom Willen des Heiligen die Rede war, den von einem Wolf verschleppten Knaben vor den Gefahren des Waldes zu schützen und ihn den Eltern gesund wiederzubringen.
Bruder Adilbert konnte Latein leidlich lesen und übersetzen, was ihm wertvolle Dienste leistete. Für ihn waren diese Abschriften nicht nur eine Ansammlung von Buchstaben, die es abzumalen galt, sondern sie
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