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Fuerstin der Bettler

Fuerstin der Bettler

Titel: Fuerstin der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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einmieten, sich einfach hinlegen, die Augen schließen. Sie ging durch den Tag, als laste das Gewicht der Welt auf ihr. Wie von einem Mühlstein bewegt wälzten sich die Gedanken an die vergangenen Ereignisse durch ihren Kopf, und die Steine zermahlten alle Geschehnisse zu feinem Staub, aus dem sich ein Teig aus neu zusammengemischten Einzelbildern kneten ließ. Das ergab in ihrem Kopf mit einem Mal einen ganz anderen Ablauf der Nacht. Doch sie wusste nicht, wie wahrscheinlich dieser Ablauf war.
    Hannah setzte sich auf einen der Poller, der eine Hausecke gegen die Wagenräder der Karren schützen sollte. Sie wollte nur in Ruhe nachdenken. Ein Lichtstrahl Sonne fiel auf sie und wärmte sie ein wenig. Nun meldete sich doch der Hunger wieder, und sie holte sich aus dem Tuch ein Brot und biss ein Stück Käse ab, aber der schmeckte schal angesichts der Gedanken, die sie bewegten.
    Das Mädchen, die beiden Männer – das ergab in ihren Augen alles keinen Sinn. Sie hatte Gera nicht im Zimmer vorgefunden. War sie vielleicht schon nach draußen gelaufen? War sie vielleicht auf der Suche nach ihrer Mutter zurückgekehrt und von einem Balken, von einer einstürzenden Mauer getötet worden? Sie wollte gerade in das Stück Brot beißen, als es ihr gewaltsam aus der Hand gerissen wurde.
    »Der Frühlingswind weht die ersten Schmetterlinge vorüber«, wurde sie begrüßt. Der Mann, der vor ihr aufgetaucht war wie aus dem Nichts, steckte sich das Stück Brot auf einmal in den Mund und kaute grinsend.
    Verwirrt blickte sie ihn an.
    »Da hat es sich doch gelohnt, die Augen ein bisschen aufzuhalten. Irgendwann müssen sich auch die schönsten Falter zum Schlafen in eine Ecke verziehen.« Wieder grinste er breit.
    Den feuerroten Haaren, dem verdrießlichen Zug um seinen Mund und dem schweren Loden war sie schon einmal begegnet, und die Erinnerungen daran waren nicht erbaulich.
    »Der Rote«, flüsterte sie.
    Wie ein Fels von einem Mann stand er vor ihr und beugte sich zu ihr hinab. »Es ist recht so, wenn du mir etwas zu essen bringst. Nur nicht so schüchtern. Ich bin da nicht wählerisch.«
    Wie von selbst hob sich ihr Arm mit der Verpflegung, und der Rote riss sie ihr aus der Hand. Er holte Brot und Käse aus dem Tuch, ließ es dann fallen und stopfte sich das Essen mit beiden Händen in den Mund.
    Hannah war wie gelähmt. Das Kauen der Kiefer, das Schlucken, das geräuschvolle Schmatzen – das alles ließ sie erstarren. Statt wegzulaufen blieb sie einfach sitzen.
    Als der Rote den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte, sagte er: »Der Hunger ist gestillt. Aber satt ... satt bin ich noch nicht, mein Schmetterling.«
    Bevor Hannah begriff, was er damit meinte, packte er sie am Arm und zog sie von ihrem Poller herunter. Mit drei, vier langen Schritten ging es hinein in die schmalen Gassen des Pfaffenwinkels. Ihre Beine stolperten wie von selbst hinter dem Kerl her.
    Es ging hinunter zum Stadtbach. Er drängte sie in eine breitere Lücke zwischen zwei Gebäuden und stieß sie schließlich, so mühelos, als wäre sie nur eine leere Hülle, gegen die Hauswand. Hannah hörte den dumpfen Aufschlag und spürte einen stechenden Schmerz am Rücken und am Hinterkopf. Sie hoffte inständig, dass sie sich nichts gebrochen hatte. Schließlich sank sie langsam an der Hauswand zu Boden.
    »Hat dir die erste Begegnung nicht gereicht, mein Schmetterling? Musst du mir wieder über den Weg flattern?« Er beugte sich zu ihr herunter. Sie roch seinen fauligen Atem, seinen scharfen Schweiß. »Geld? Hast du Geld für mich gesammelt?«
    Sie schüttelte den Kopf und zog ihn sofort ein, weil sie spürte, wie der Rote ausholte. Der Schlag traf sie dennoch unerwartet. Sie kippte zur Seite, und ihr Kopf schlug wieder hart gegen das Holzfachwerk.
    »Ich konnte nicht betteln«, wimmerte Hannah leise. Sie dachte einen Augenblick an das Geld in ihrer Börse, doch sie wollte dem Roten die paar Münzen nicht einfach in den Rachen werfen. Nicht ihm.
    »Aber zu fressen hast du dir besorgt, was?«, höhnte der Rote und holte wieder aus. Das raue Leinen der Handschuhe schürfte ihr die frische Haut von der Wange.
    »Ich konnte wirklich nicht betteln!«, schluchzte Hannah.
    »Du konntest nicht? Du konntest nicht! Du wolltest nicht. Aber du sollst. Du musst.« Mit jedem Satz wurde der Rote lauter. Er schrie sich in eine Wut hinein, peitschte sich mit seinen eigenen Worten hoch – und dann schlug er abermals zu. »Weißt du eigentlich, was ich mache, wenn Weiber

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