Fuerstin der Bettler
nach draußen und standen in der Gasse vor dem Turm. Die Schwarze Liss zog Hannah hinter sich her die Hennastäpfala hinauf und hinein in den Pfaffenwinkel.
»Wo gehen wir hin?«, fragte Hannah endlich mit Unmut in der Stimme. Sie hatte die Geheimnistuerei satt.
»Wo wir schon längst hätten hingehen sollen. Zum Brandplatz.«
»Was suchen wir dort?«, fragte Hannah, nun schon weniger verärgert.
»Antworten!« Die Schwarze Liss blieb weiter schweigsam, bis sie den Wehrgang erreicht hatten. Dort stellte sie sich in eine finstere Ecke, die von außen nicht eingesehen werden konnte.
»Ich habe nachgedacht«, begann sie. »Und ich glaube, Röttel, wir müssen uns in Acht nehmen.«
Sie sprach so leise, dass Hannah sie kaum verstehen konnte.
»Wie kommst du darauf?«, fragte Hannah. Auch sie flüsterte, obwohl es ihr schwerer fiel wegen ihrer rauen Stimme.
»Mir ist schon, während wir bei der Luderin waren, aufgefallen, dass an dieser Geschichte, die wir gehört haben, etwas nicht stimmen kann.«
Hannah hob verwundert eine Augenbraue. »Wie meinst du das?«, fragte sie.
»Mir fehlt ein Steinchen in dem Mosaik. Celante hat den Mönch verraten, weil ein Unbekannter ihr das Gesicht zerschnitten hat. Der Mönch ist von diesem ... diesem Dämon beinahe getötet worden. Der wollte offenbar den Mord an dem Mädchen vertuschen, das der Mönch kannte, und weil er das Wissen an Celante weitergegeben hatte. Gleichzeitig wäre mit dem Tod des Mönchs das Wissen um die Fälschung der Urkunde ausgelöscht gewesen – und jetzt kommt es: Wer hat dem Dämon dann von Celante erzählt? Wer wusste, dass Celante die Sache mit dem Mädchen erfahren hatte und dass sie den Urheber dieser Geschichte, nämlich Bruder Adilbert, kannte?«
Einige Straßen weiter rief der Nachtwächter sein Lied in die Nacht hinaus. Es tönte wie eine ferne Mahnung herüber und verklang in der Nacht. Beide lauschten der schwermütigen Stimme.
»Du meinst, jemand hat zugehört, als Bruder Adilbert Celante davon erzählt hat?«
»Ich stelle mir eher vor, dass Celante dem Mönch von denLeichen erzählt hat und dass der Mönch einen Zusammenhang zwischen dem Mädchen und seinem Geschenk gesehen hat. Eben weil er diese Verbindung gezogen hat, waren sie hinter ihm her.«
Eine ähnliche Überlegung war auch in Hannahs Gedanken herumgegeistert. Sie hatte das Geschehen nur nicht so klar in Worte fassen können, wie die Schwarze Liss es jetzt tat.
»Du nimmst also an, dass jemand aus dem Haus der Luderin den ›Dämon‹ benachrichtigt hat?«, sagte Hannah nachdenklich.
»Nicht den Dämon, sondern jemand anderen, der den Dämon beauftragt hat, sonst hätte der bei Celante nicht vorbeischauen und nach dem Mönch fragen müssen.«
Langsam schälte sich ein Bild der Ereignisse heraus. Wenn es stimmte, was sie sich da eben zusammengereimt hatten, dann gab es nur eine Person, die über die Möglichkeiten verfügte, Celante und den Mönch zu belauschen und das Wissen zu verwerten, schloss Hannah. »Die Luderin! Du glaubst, es war die Luderin?«
»Ja, gut möglich«, antwortete die Schwarze Liss. »Und ich glaube noch mehr. Die Kleine, die Celante bis zu uns her begleitet hat, ist ihr verlängerter Arm, besser gesagt, ihr verlängertes Ohr. Deshalb müssen wir vorsichtig sein.«
Hannah nickte bedächtig. Das klang einleuchtend, obwohl es keinerlei Beweise dafür gab.
»Das sind schwere Anschuldigungen, Liss«, sagte Hannah. »Aber um das zu bereden, hätten wir auch nur vor den Turm zu gehen brauchen.«
»Einmal wollte ich verhindern, dass die Kleine etwas mitbekommt. Nelda am Tor wird das verhindern. Außerdem sollten wir uns aber den Brandplatz einmal gründlich ansehen, findest du nicht? Und zwar bevor die Handwerker dort auftauchen.«
Der Tag hob langsam die samtene Decke der Nacht und ließ allmählich die Helligkeit hindurchsickern. Die Vögel begrüßten das erste Licht, und eine Amsel schien gegen die beiden Frauenin der Ecke der Wehrmauer zu zetern. Die ersten Schwalben verließen ihre Lehmnester und jagten in waghalsigen Schwüngen zirpend über die Dächer hinweg und durch die Gassenschluchten.
Die Schwarze Liss berührte Hannah, die ganz versunken war in dieses Schauspiel, am Arm. »Wir müssen los.«
Hannah nickte. Sie liefen an der Mauer entlang und bis zur rückseitigen Pforte ihres Hauses. Hannah stand davor, spähte nach links und rechts und versuchte dann, sie zu öffnen. Sie war offenbar nicht mehr abgeschlossen worden, seit sie das
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