Fuerstin der Bettler
beschlich sie, so als würde sie etwas Verbotenes tun. Sie sah sich um, und auch im Gesicht der Schwarzen Liss spiegelte sich Unbehagen. Sie blickten sich kurz an, dann waren sie sich einig. Sie würden wieder nach oben steigen. Nichts war hier unten geschehen. Die Geräusche, die sie damals gehört hatte, waren sicherlich nicht aus dem Keller gekommen.
Hannah drehte sich um, durchquerte den Keller und stiegauf die Leiter. Sie musste das Licht gegen ihre schnellen Bewegungen abschirmen, sodass es kaum Helligkeit verbreitete. Die langen Schatten tanzten über die Gewölbedecken und machten die Räume fast lebendig. Es sah aus, als würden die Mauern atmen.
Kaum hatte sie einen Fuß auf die erste Sprosse gesetzt, als sie über sich Stimmen vernahm. Die Maurer begannen ihr Tagwerk.
Die Schwarze Liss drängte von hinten nach, doch Hannah bedeutete ihr, zu schweigen. Schließlich lauschten sie beide auf die Stimmen. Sie kamen näher. Die Maurer stiegen zu ihnen in den Keller hinab. Sie schienen es nicht eilig zu haben und hatten offenbar auch noch kein Licht entzündet.
»Was machen wir jetzt?«, hauchte die Liss.
Hannah deutete mit dem Finger nach unten. Sie würden tiefer steigen, tiefer als die Maurer. Geräuschlos drehten sich die Frauen um, durchquerten den zweiten Keller und stiegen eine weitere Ebene nach unten.
Ein Geruch nach feuchtem Putz empfing sie. Hannah spürte, wie die Luft feuchter wurde, und auch das Kerzenlicht flackerte unruhig.
Im Raum vor ihnen konnten sie nichts Ungewöhnliches erkennen. Es standen allerdings einige Kübel mit Erde und Handwerkszeug herum, so als hätten die Handwerker ihre Arbeitsstätte eben erst verlassen.
Hannah und die Schwarze Liss schlüpften in den nächsten Kellerraum, und Hannah unterdrückte einen Aufschrei: Ein Höllenwesen blickte sie an im schwachen flackernden Spiel von Licht und Schatten, das die Kerze erzeugte.
Auch die Schwarze Liss zuckte kurz, doch dann gewann ihr nüchterner Geist die Oberhand. Während Hannah keinen Schritt mehr weiterzugehen vermochte, drängte die Liss an ihr vorbei.
»Verflucht noch eins, was ist denn das?«, zischte sie halblaut vor sich hin.
Der Raum war ungefähr so groß wie die anderen, und an der gegenüberliegenden Mauer ragte der riesige Schädel eines Drachen auf. Das Maul war weit aufgerissen, und zwischen den Zahnreihen gähnte tiefschwarz ein Höllenschlund.
»Als hätten sie einen Wasserspeier vom Dom heruntergeholt und hier aufgestellt.«
Die Schwarze Liss ging hinüber zu dem Schädel und klopfte vorsichtig mit den Fingerknöcheln gegen die Zähne. Sie klangen hohl. »Gips und Farbe«, sagte sie fachmännisch. »Da hat sich jemand große Mühe gemacht.«
»Aber was um alles in der Welt soll dieser ... dieser ... Fastnachtskopf hier unten?«
Hannah näherte sich dem Drachenkopf zögernd. Ein grausiges Prickeln rann ihr über den Rücken. Sie hatte keinen Blick für die rot geränderten Augen, die gelblichen Zähne und auch nicht für die gespaltene Zunge des Untiers. Sie wurde angezogen von dem schwarz dräuenden Schlund, aus dem es kalt und übel riechend herauswehte.
»Riechst du das?«, fragte sie.
Die Schwarze Liss hielt ihre Nase in die Öffnung und sog die Luft tief ein. Dann nickte sie wissend.
»Das ist kein Fastnachtskopf«, sagte sie bedächtig. »Das ist ein Durchgang.«
Hinter sich hörten sie jetzt, wie die Maurer über die Leitern in den Keller herunterstiegen. Es würde nicht allzu lange dauern, dann wären die Kerle hier unten bei ihnen. Mit Schaudern musste Hannah daran denken, was die Männer mit zwei Frauen wie ihnen anstellen konnten. Da sie hier unerlaubterweise eingestiegen waren, galten sie als vogelfrei. Für Bettlerinnen gab es keinen Schutz, wenn man sie auf frischer Tat ertappte.
Rechts neben dem Drachenkopf ging es eine Ebene tiefer. Hannah untersuchte den Abstieg. Anders als in den oberen Stockwerken stand dort keine Holzleiter. Sie hätten diese von hinten mitnehmen müssen. Dafür war jetzt aber keine Zeit mehr.
Mit düsterem Unbehagen blickte sie in den Drachenschlund. Es gab keinen anderen Ausweg. Sie raffte ihren Rock und stieg zwischen die Kiefer des Drachen.
»Hoffentlich hast du recht«, flüsterte Hannah.
Die Liss folgte ihr.
Sie liefen geradeaus und tiefer in den Schlund des Untiers hinein.
Das Innere, das sie empfing, roch modrig. Die Wände waren mit neuen hölzernen Bohlen gesichert, die Decke war mit frischen Balken verstärkt.
»Das ist tatsächlich ein
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