Fuerstin der Bettler
bunten Kleider aus, Kinder lärmten wie Sperlingsschwärme, Schweine grunzten in den Gassen und fraßen den Unrat, Gänse schnatterten, Hühner krakeelten, Wagenräder schlugen ihren harten Takt – die Welt wob am Schicksal dieses Tages, nur er war eingesperrt in dieses Haus und zur Stille verdammt. Würde er einen Schritt aus dem Haus tun, würde man ihn womöglich erkennen – und dann, so viel war ihm klar, würde seine letzte Stunde rasch anbrechen. Das hielt ihn in seiner Gefangenschaft, ohne dass man ihm Fußfesseln hätte anlegen müssen.
Bruder Adilbert verfluchte seine Bereitschaft, sich in das Nebenhaus sperren zu lassen, statt sofort die Stadt zu verlassen und das Weite zu suchen. Außerhalb Augsburgs hätte ihn niemand verfolgt oder zur Rechenschaft gezogen. Ein kurzer Schauer überlief ihn, als er an das weißgesichtige Gespenst dachte, das ihn beinahe erstochen hätte. So wie es jetzt aussah, würde ihn zwar niemand erdolchen, aber er würde sterben vor Langeweile. Niemand kam, niemand redete mit ihm, niemand holte ihn hier heraus. Natürlich war er das Alleinsein gewöhnt. Als Mönch lebte man in selbst auferlegter Einsamkeit. Aber man sah zumindest zu den Gebetsstunden und zum Mittagessen andereGesichter, man hatte etwas zu tun oder konnte sich zumindest mit allen möglichen Tätigkeiten ablenken.
Im vorderen Teil des Hauses lag eine Werkstatt, die der Tischler benutzt hatte. Im hinteren Teil befand sich eine Esse, deren Zug bis unters Dach führte. Der Keller war niedrig und glich eher einem feuchten Loch. Hier lagerten Hölzer, die offenbar weich gehalten werden mussten, damit man sie biegen konnte. Es roch nach Nässe und Schimmel. Im Obergeschoss, in das man über eine Wendeltreppe gelangte, befanden sich mehrere Wohnräume und – was für ein Luxus – ein eigener Abort, der in den Spalt zwischen den Häusern hineinreichte. Man musste nicht in den Hof, um sich zu erleichtern, sondern konnte vom Schlafzimmer aus durch eine Tür den Abtritt betreten und sich hier bequem auf ein Brett setzen. Als Bruder Adilbert diesen Einbau entdeckt hatte, musste er schmunzeln: Die Lösung des Tischlers war eines Kaisers würdig.
Der Hinterhof war groß, und am anderen Ende verlief eine Gasse. An die Mauer zu dieser Gasse lehnte sich ein schmaler Schuppen, eine weitere kleine Werkstatt, in die er jedoch noch nicht hineingesehen hatte. Ein Tor gab es nicht in dieser Mauer.
Mindestens dreimal war er durch das ganze Haus gegangen, hatte sogar den Dachboden betreten und abgesucht, und jetzt stand er vor einer Truhe, die ihm erst bei dieser dritten Begehung aufgefallen war. Er kniete sich hin und öffnete sie. Stoffballen, Hosen, Hemden und Schuhe kamen zum Vorschein. Alles fein säuberlich gefaltet und gestapelt. Zuoberst lagen eine Lederkappe und ein Filzhut.
Er wollte die Truhe schon wieder schließen, als er begriff, was er da vor sich hatte: den Sonntagsstaat des Tischlers. Es dauerte noch einmal eine ganze Weile, bis er verstand, dass dies hier seine Gelegenheit war.
Er legte die Kutte ab und suchte sich die Kleidungsstückeheraus, die ihm angemessen erschienen und die ihm passten. Der Tischler hatte offenbar Adilberts Größe gehabt, allerdings fehlten diesem am Oberkörper die Muskeln des Handwerkers, sodass er in Oberhemd und Wams etwas verloren aussah. Seine Tonsur konnte er mit der schlichten Lederkappe verbergen. Als er die Verwandlung vollzogen hatte, sah er an sich hinunter. Wenn er sich dazu einen Bart stehen ließ, dann musste er doch als Handwerker durchgehen. Zuletzt betrachtete er seine Hände, die so ganz und gar nicht zu einem Handwerk zu passen schienen. Nicht einmal die Fingernägel zeigten Trauerränder.
Bruder Adilbert packte seine Kutte in die Truhe. Das beruhigte ihn ein wenig. So hatte er seine Kleidung wenigstens nur getauscht, nicht gestohlen, obwohl es bei einem Toten natürlich nichts zu tauschen gab.
Wieder streifte er durch das Haus – und jetzt, da er in der fremden Kleidung steckte, die für ihn ungewohnt war, empfand er sein Gefängnis als nur noch grausamer.
Er begann seine Wanderung erneut und schaute in jeden Winkel des Hauses. Zuletzt stellte er sich selbst eine Aufgabe, um gegen die Langeweile anzukämpfen.
Bruder Adilbert schloss die Augen und überlegte, wie er gehen musste, um den Keller zu finden, die Esse oder den Abtritt. Blind lief er auf den Dachboden und von dort in den Keller und wieder in das Schlafzimmer des ersten Stockwerks. Schließlich landete
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