Fuerstin der Bettler
lagen, kitzelte das brandige Aroma sein empfindliches Riechorgan. Er entdeckte linker Hand die verkohlten Wände der Nachbarhäuser und die auf der Krone geschwärzte Mauer, deren Eingangstür unversehrt war. Sie hatte in der Mitte ein Durchsichtgitter. Unauffällig stellte sich Bruder Adilbert ans Tor und blickte hinein.
Die Trümmer waren weggeräumt, der Platz war eingeebnet worden. Die ersten Grundmauern hatte man auf den Kellermauern bereits hochgezogen. Links von der Mitte, dort wo auch in seinem Haus der Keller angelegt worden war, ragte eine Leiter aus einem Kellerloch. Sicherlich ging es dort hinab in die Vorratskeller, die hier oben auf der Hochterrasse tiefer waren als im Lechviertel unten, dessen Häuser nur wenig über dem Grundwasser lagen. Durch den Innenhof lief eine Art Grube, vermutlich ein Verbindungsgang zwischen zwei Kellerräumen.
Es war ein schönes, großes Grundstück, das sicherlich einen gewissen Wert darstellte. Doch war es keineswegs so wertvoll, dass es einen Mord rechtfertigte.
Noch einmal ließ er seinen Blick über das Grundstück gleiten. Was machte es so begehrenswert, dass man dafür tötete? Bruder Adilbert wagte nicht, das Gelände zu betreten, obwohl er bemerkte, dass die Tür nicht verschlossen war und sich nach innen drücken ließ.
Er wollte sich gerade abwenden, als ein Mann die Holztreppe nach oben stieg. Ein Maurer, der einen hölzernen Kübel in der Hand hatte. Offenbar wurde im Keller gearbeitet.
Er wandte sich ab und ging weiter in Richtung des Stephinger Tors. Er war noch keine zehn Schritte vom Brandplatz entfernt,da wurde er von spitzen Schreien aufgehalten. Es waren Schreie, hohe weibliche Schreie, die den Schrecken in sich trugen, der sie ausgelöst hatte. Schreie, die ihm ins Mark fuhren. Schreie waren es so voller Furcht, dass sie ihn sofort an das Mädchen erinnerten, das um seinetwillen das Leben verloren hatte.
Bruder Adilbert sah sich um. Kein Mensch befand sich auf der Mauer. Vor ihm lag der Aufgang zur Stadtmauer. Mit fliegenden Schritten lief er darauf zu und hastete die Treppe hinauf. Von dort oben konnte er das Gelände besser überblicken. Vielleicht konnte er so auch herausfinden, woher diese Schreie kamen.
Er lief den Wehrgang entlang und schaute hinab auf das Gelände unter der Mauer, doch er konnte nichts entdecken. Die spitzen Schreie verebbten, als würde sich die Frau beruhigen. Er konnte daher die Richtung nicht mehr bestimmen. Als er an einer der Schießscharten in der Mauer vorüberkam, vernahm er jedoch wieder einen Schrei vor der Mauer. Überrascht drehte er sich um, öffnete die Luke in der Mauer und sah nach draußen. Tatsächlich standen dort vor einem kleinen Gartenhaus zwei Frauen, die einander umklammerten. Bruder Adilbert glaubte die beiden Frauen zu kennen: die Röttel und die Schwarze Liss. Dann sah er etwas, das ihm gar nicht gefiel.
11
D ie Schwarze Liss schrie und schrie und konnte sich nicht beruhigen. So aufgelöst hatte Hannah sie noch nie erlebt. Die Liss stürmte trotz ihres verwachsenen Beins schneller die Treppe hinauf, als Hannah ihr nachkam. Eine Klappe versperrte ihr den Weg. Sie stemmte sich mit aller Kraft dagegen, hebelte sie auf, ließ sie auf den Boden krachen, kroch hinaus, und wenige Augenblicke später standen sie vor dem Gebäude, in dem der Tunnel geendet hatte. Hannah hatte die Schwarze Liss schließlich eingeholt und hielt sie fest. »Ist ja schon gut«, sagte Hannah und versuchte die Bettlerin mit einer sanften Stimme und langsam streichelnden Bewegungen zu beruhigen.
»Das Geräusch«, stammelte die Schwarze Liss. »Das Geräusch. So unmenschlich. So fremd. Und dann dieser Schatten, dieser große Schatten.«
Hannah nickte. Auch ihr war der Schreck in die Glieder gefahren, wenn sie auch den Schatten nicht gesehen hatte. Doch sie hatte den Schrei vernommen und dann dieses Klirren einer Kette.
Die Schwarze Liss noch immer umfasst haltend, betrachtete Hannah das Gebäude.
»Ich glaube, ich weiß, wo dieser unterirdische Gang endet«, sagte sie tonlos.
Die Liss, die sich langsam wieder im Griff hatte, löste sich aus Hannahs Armen. Sie fuhr sich mit dem Ärmel über das Gesicht und drehte sich um. Dann stutzte sie.
»Das Lusthaus. Unser Lusthaus?«
Hannah sah sich um. Dieses Gelände hatten sie schon einmal eingesehen, von oben, vom Wehrgang aus.
Plötzlich schwirrte ihr der Kopf, weil so viele Dinge auf sie einstürzten. Alles schien mit allem zusammenzuhängen, alles aufeinander bezogen zu
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