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Fummelbunker

Fummelbunker

Titel: Fummelbunker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonja Ullrich
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Wattenscheid.
     
    Meine Nerven knisterten wie feuchte Stromleitungen, während ich die Garagen-Gangway hinunterfuhr. Die Region war tot. Nasser Asphalt und Schotter ragten tief bis in den Horizont hinein und lediglich ein paar Industrieschachteln aus Beton sowie Plattenbauten, die aus der Ferne kaum größer waren als meine Faust, unterbrachen die karge Landschaft. Gegenüber der Garagenreihe waren zig Jahre lang drei Gemeine Eschen in der Asche herangewachsen. Ihre Kronen beugten sich über die Straße und befreiten sich schüttelnd von den braun gewordenen, spitzen Blättern sowie jenen Propellerfrüchten, welche Olaf und ich als Kinder immer in die Luft geworfen haben und trudeln ließen.
    Ich parkte unter der dritten Esche und stieg aus. Die Wade klopfte und der Regen nieselte geräuschlos auf mein Gesicht. Es roch nach feuchter Erde und morschem Holz und die geflügelten Früchte der Esche zerbarsten wie Holzsplitter unter meinen Schuhen, als ich die Gasse überquerte.
    Adrenalin scheuerte gegen meine Blutkörperchen und stellte meine Körperhaare auf.
    Da war die Triumph Daytona.
    Sie lehnte gegen den winzigen Seitenständer, das Vorderrad war eingeschlagen. Der Zündschlüssel steckte noch im Schloss und unter der Sitzbank war eine rote Schicht aus Blut in den Innenraum geschmiert.
    Ich blieb vor Metins Garage stehen.
    Gregors hübsche kleine Fluchtmöglichkeit.
    Ich hatte es nicht vergessen, als er das sagte.
    Sie war verschlossen, das Tor um Millimeter angehoben. Ich verbrachte endlose Sekunden damit, den Spalt am Boden anzustarren. Dann betrachtete ich das Schloss. Es war angerostet und schmutzig und der Regen hatte die meisten Spuren bereits weggewischt. Dennoch entging mir die rote Schmierspur nicht, die sich dünn und wässrig die Wellblechlamelle hinunterschlich. Bis zum Boden. Mit einem Schlag wurde mir schwindelig, mein Herz raste durch die Schallmauer und presste das Blut gegen meine Lungen.
    Krieg jetzt bloß keine Panikattacke.
    Meine zittrige Hand bewegte sich auf den Griff zu, meine Fingernägel kratzten ohrenbetäubend am Stahl. Ich begann zu weinen. Ich wusste nicht, ob ich bereit war, Gregor auf dem Boden liegen zu sehen. Tot. Wie würde er aussehen? Würden mich seine leblosen, milchig gewordenen Augen anblicken? Hatte er leiden müssen?
    Die Tränen vermischten sich mit dem Regen und rollten die Wangen hinunter über meine Lippen. Sie schmeckten salzig und waren kalt.
    So kalt, wie Gregors Körper sein würde.
    Ich biss mir auf die Unterlippe, bis es schmerzte. Ich wollte die Hirngespinste verdrängen. Schließlich packte ich fest zu und hob das Tor über meinen Kopf.
    Dann sackte ich ein.
    Gregors Körper schmiegte sich eng an den ausgemergelten braunen Sessel. Er sah so lässig und entspannt aus, dass es mich fast krank machte, weil ich überhaupt diesen Gedanken hatte.
    Denn überall war Blut.
    Der Schaumstoff, der aus den aufgeplatzten Nähten des Sessels quoll, hatte sein Blut wie ein Schwamm aufgesogen. Das Kunstleder war vom Blut verschmiert und sein Pullover, der weiß gewesen sein musste, weil er einen weißen Kragen und weiße Ärmel hatte, war nass und rot. Gregors Gesicht war zur Seite geneigt. Seine Gesichtszüge waren entspannt. Als würde er schlafen. Doch seine Haut war blutleer, fast bläulich und mit Schweiß benetzt. Seine Lippen waren blass, die Locken noch vom Regen feucht. Das Hakenkreuz hinter seinem Ohr blitzte mir wie etwas Spinnenartiges entgegen. Seine Handflächen, die auf den Seitenlehnen ruhten, zeigten zur Decke. Fast so, als würde er jemanden auf seinem Schoß halten.
    Ich hyperventilierte. Ein imaginäres Seil schnürte sich um meine Kehle, meine Arme und Beine verkrampften sich, die Haut begann zu kribbeln. An den Händen, an den Beinen, im Gesicht. Überall waren die Ameisen und fast konnte ich sie hören, wie sie mit ihren Beinchen über meine Ohren krabbelten. Als ich auf ihn zuging, fiel ich fast vornüber in seine Arme. Ich nahm seine Hand und heulte vor Erleichterung auf, als ich fühlte, dass sie noch warm war.
    Ich drückte sie. Keine Reaktion.
    »Gregor«, sagte ich leise.
    Keine Reaktion.
    Ich blickte auf seine Brust und fand das verräterische Loch jener Kugel, die die Windschutzscheibe seines Taxis durchschlagen hatte.
    Dieses Scheißloch.
    Aber ich sah auch, dass sich seine Brust bewegte.
    Schnell umfasste ich sein Kinn, packte fest zu und begann seinen Kopf zu schütteln. Seine Wimpern flimmerten. Dann tätschelte ich seine Wange. Immer

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