Fummelbunker
»Soll ich Ihnen zeigen, wie man mit System spielt?«
Nach einer dreiviertelstündigen Einweisung von Theo in die Künste des Systemspielens war ich Schalkowskis letzten Hunderter los. Es war ein trauriger Moment, doch die Tatsache, dass das Geld, das ich verprasste, nicht mein eigenes war, tröstete mich.
»Sie haben heute wohl eine Pechsträhne«, sagte Theo.
Ich nickte schweigend, schenkte ihm ein erbärmliches Lächeln und trottete an die Bar. Ein gut aussehender Barmann mit stahlblauen Augen, die zensiert werden sollten, servierte mir einen mit Kakao gepuderten Milchkaffee. Als ich den Löffel in die Suppe tauchte und das Schokoladenpulver unter den Milchschaum rührte, fühlte ich Theo bereits im Nacken.
»Seien Sie nicht traurig. Vielleicht haben Sie das nächste Mal mehr Glück.«
»Hoffentlich«, sagte ich, ohne ihn anzusehen. Ich wollte nicht den Eindruck schinden, ich würde seine Gegenwart gutheißen. Doch er war der weiblichen Körpersprache nicht mächtig und plapperte munter weiter.
»Und? Was verdient man so als Detektivin?«
»Kommt drauf an.«
»Haben Sie eine Waffe?«
Ich sah ihn dunkel an. »Ja. Und zwar eine verdammt große.«
Der Barmann musste sich ein Grinsen verkneifen.
Ich schaute auf die Uhr. »Verdammt.«
»Was ist los?«
»Ich muss noch zu einer Observierung«, log ich.
»Ach ja? Welcher Art denn?«, fragte er ganz interessiert.
Ich überlegte kurz. »Irgendein Polizeibeamter verschachert beschlagnahmte Drogen in der Nordstadt.«
Beeindruckt spitzte er die Lippen. Ich hüpfte vom Barhocker und eilte die Treppen hinunter, nicht ohne beim Personal ein bedröppeltes Gesicht zu machen.
11.
Am Sonntagmittag stand die Uhr still und ich wurde ins Jahr 1994 zurückkatapultiert; jenem Jahr, in dem ich aus meinem Elternhaus auszog. Die Sonne hing gnädig über Eving und flackerte durch aufgequollene graue Wolken hindurch. Ich kam mit einem Tablett voller Sahneteilchen aus der Konditorei in die Küche. Mein Vater stand in seinen ausgelatschten Schlappen am Herd und rührte die gestrige Erbsensuppe auf.
Ich sah mich um.
»Wo ist Mutti?«
»Die guckt oben gerade einen ihrer Schockerfilme.« Normalsterbliche Hausfrauen lasen Rosamunde Pilcher, meine Mutter guckte Horrorfilme. Hin und wieder kam es vor, dass sie darüber grübelte, wie viel Blut in so einem einzigen Mensch stecken konnte. Doch diese Grübeleien waren absolute Ausnahmen, denn Mutti gehörte nicht zu jener Sorte Menschen, die ständig wissen wollten, wie Dinge funktionierten. Sie war schon immer ein praktisch veranlagter Typ gewesen, verwendete Strombetriebenes so nach Gefühl und kannte die Furcht nicht, die andere hatten, wenn sie Styroporblöcke in den Kohleofen schob. Womöglich ähnelte ich ihr darin, intellektuelle Barrieren zu beschreiten und auszureizen. Ich las zu diesem Zwecke viele Bücher und begeisterte mich für Dokumentarserien über Jeffrey Dahmer, Forensische Entomologie und das Wunder der Selbstverbrennung, während meine Mutter sich wiederholt und entgegen aller Anweisungen immer dann an der herausgedrehten Sicherung zu schaffen machte, wenn mein Vater für Arbeiten an blanken Kabeln aus dem Blickfeld verschwand. Kein Wunder, dass Paps meiner Mutter fraglos jeden Schockerfilm aus der Videothek besorgte; zogen die blutigen Streifen sie immerhin für eineinhalb Stunden in den Bann und demzufolge auch aus dem Verkehr. Kostbare Zeit, um unbemerkt die hausinterne Stromversorgung zu warten, Wände zu fliesen oder eine Gartenlaube zu bauen.
Ich stellte eine mit Kuchenstücken belegte Pappplatte auf dem Küchentisch ab und steckte meine Nase in den Topf. Prompt trat Olaf durch die Tür. Wir sahen uns mit vielsagenden Blicken an.
Er nickte mir zu. »Gehen wir in den Garten.«
Ich griff mir die Pappplatte und wir setzten uns an den mit Taubendreck besudelten Kunststofftisch unter dem Küchenfenster. Ich teilte Kuchenstücke auf kleinen Porzellantellern aus. In einer von Tauben geplagten Region wie Dortmund-Eving lag die Hemmschwelle, auf Taubendreck zu essen, überdurchschnittlich niedrig.
Olaf stopfte sich ein Stück in den Rachen. Er machte insgesamt wieder einen etwas gesünderen Eindruck. »Wie geht es voran?«
»Sehr gut. Ich habe mit dem Typen gesprochen, dessen Klage gegen das Casino abgeschmettert wurde. Seinen Informationen zufolge scheint Boris ein notorischer Spieler zu sein.«
Mein Bruder gab sich skeptisch. »Und du meinst, dieser Typ ist glaubwürdig?«
»Er ist glaubwürdiger als
Weitere Kostenlose Bücher