Fummelbunker
verleihen. Aber er hatte sich unter Kontrolle. Es war selbstredend, dass für ihn viel auf dem Spiel stand.
»Darüber brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen. Ich habe sie alle gelöscht.«
»Gelöscht von wo?«
»Dem Server der WAZ.«
Er nickte mit Grübchen an den Mundwinkeln, als hätte er es wissen müssen. »Wirst du mir die Zugangsdaten geben? Ich will es richtig machen«, fügte er hinzu.
Mein Kopf nickte von allein. Ich stellte nicht infrage, dass er noch professionellere Mittel kannte, sich des Bäcker-Dossiers zu entledigen. Und zwar endgültig. Er nickte. Dann schwiegen wir uns an. Seine Augen drangen durch mich durch. Vermutlich versuchte er, meine Gedanken zu lesen. Und wenn er das konnte, dann würde er wissen, dass ich trotz allem Zweifel hegte, ob es richtig von mir gewesen war, die Daten zu vernichten.
»Ich habe ihn nicht getötet«, sagte er.
Ich nickte, ohne zu wissen, welchen Toten er damit meinte. »Ich schätze, damit sind wir quitt«, bot ich ihm an.
Abrupt drehte er sich um.
»Du hättest es mir nicht erzählen sollen«, sagte ich.
Er sah nicht zurück. »Ich weiß. Schätze, du hast recht gehabt.«
Damit verschwand er durch die Tür.
In der folgenden Nacht schlief ich unruhig. Dichte Wolken glitten über die vernarbte Kruste des Vollmondes und verdunkelten mein Zimmer. Eine Mücke surrte unter der Decke und klatschte mit ihrem Körper gegen den Putz. Ich ruhte mit einem Kartoffelmesser unter dem Kissen und ich fragte mich, ob es nun immer so sein würde.
Ich war betrogen worden.
Ich wollte Martin Riggs aus ›Stahlharte Profis‹, doch ich bekam Detective Alonzo Harris aus ›Training Day‹, einen korrupten Bullen, der am Ende des Films von der Russenmafia erschossen wird.
Ganz egal, welche Abmachungen Gregor mit dem Käskoppmafioso getroffen hatte; ich war mir sicher, ich war kein Teil davon. Ganz zu schweigen davon, dass auch Abmachungen verjährten. Früher oder später würden sie seiner überdrüssig werden und ihre hiesige Abschussliste aus der Mafiaenklave holen, auf welcher mein Name hoffentlich ganz weit unten stand. Ich hatte keine Erfahrung mit den Ehrenkodizes organisierter Krimineller. Daher wollte mir partout nicht in den Kopf, warum ich den Versprechen ausländischer Drogenbarone, Schutzgelderpresser und Mörder trauen sollte.
Gregor hätte es mir nicht erzählen sollen.
Aber er vertraute mir. Weil ich recht hatte, wie er meinte. Weil er mir alles erzählen wollte, es aber nicht konnte. Warum auch immer. Die Situation erinnerte mich an das Kollegium Bäcker und Roloff. Boris hatte Olafs moralisches Gewissen herausgefordert und ihn zumindest für seine Sache zum Schweigen gebracht. Das half mir, meinen Bruder erst richtig zu verstehen. Auch Gregor war sicherlich mal anders gewesen. Und vielleicht hätte ich jetzt noch etwas mehr Verständnis für ihn übrig gehabt. Aber ich wollte mein moralisches Gewissen nicht zum Schweigen bringen lassen. Das, was er an mir probierte, war nichts anderes als ein Verrat an mein Vertrauen. Ein schmerzvoller Verrat. Aber ich würde diesen Schmerz nicht allein spüren, sondern ihn mit Gregor teilen. Und zwar sobald ich mit Alexander darüber gesprochen habe.
Immerhin hatte ich es ihm versprochen.
Das Café Ferdinand war ein Eckhaus ohne Straßenecke hinter dem Bochumer Hauptbahnhof, benannt nach seinem Standort, der Ferdinandstraße. Die Räume waren mit altweißen Kassettenpaneelen vertäfelt und in der 100. Version nachlackiert, in den Nischen unter den Decken bleckte hell gestrichener Stuck. Gesichter nostalgischer Email-Werbeschilder sahen den Gästen beim Fläzen und Tratschen zu, die ihre Tassen auf den Schößen parkten, weil auf den mit Zeitungen und Büchern zugestellten Tischen kein Platz mehr für sie war. Es war ein Studentencafé. Außerhalb der Stoßzeiten war hier kaum etwas los.
Es war zehn nach und ich zu spät. Mein Bus war saumselig. Alexander saß in einer Nische hinter einer Yucca-Palme und war gerade dabei, sich über die frische Wurstetagere herzumachen. Er trug ausgeblichene Jeans und ein zerknittertes Hemd, eine Strickjacke hing über seiner Rückenlehne. Über Nacht war es kühler geworden. Sein Anblick verursachte ein wohliges Kribbeln in meiner Magengegend und ich war einen Augenblick später wütend darüber, weil ich eigentlich noch sauer auf ihn sein wollte.
Alexander registrierte mich in der Tür und stieß seinen Stuhl zurück, was die schwarz gestrichenen Stuhlbeine aufschreien
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